Vorbereitung für die Lebensberaterausbildungsgruppe
Hintergrund des Klienten
Der Klient, den wir im Folgenden "Alex" nennen, kam zu mir mit dem Wunsch, alte Traumata aus der Kindheit aufzuarbeiten. Er berichtet, dass er kürzlich durch eine Erbschaft eines entfernten Verwandten aus Übersee finanziell unabhängig wurde. Diese neue Situation hat sein Leben grundlegend verändert. Alex hat nun keine beruflichen Verpflichtungen mehr und verbringt seine Tage damit, sich um den Haushalt zu kümmern, zu lesen, Videos zu schauen und Fitness zu betreiben. Trotz der neu gewonnenen Freiheit fühlt er sich jedoch zunehmend verloren und empfindet innere Unruhe und Aggression, besonders in stressigen Situationen.
Das erste Gespräch
Im Erstgespräch berichtet Alex über eine tiefe emotionale Belastung, die auf Kindheitserfahrungen mit seiner Mutter zurückzuführen ist. Diese Erfahrungen sind von stark widersprücklichem Verhalten seiner Mutter geprägt. Einerseits war sie fürsorglich, andererseits wurde Alex oft wegen vermeintlicher Fehler angeschrien, was bei ihm ein Gefühl von Unsicherheit und Unverständnis ausgelöst hat. Diese Erinnerungen begleiten ihn bis heute und sorgen immer wieder für aggressive Impulse und das Bedürfnis, sich selbst durch kratzen am Kopf zu beruhigen.
Alex beschreibt zudem, dass ihm das Fehlen einer festen Struktur im Alltag Probleme bereitet. Der Verlust eines geregelten beruflichen Lebens führt dazu, dass er sich sinnlos fühlt und keinen klaren Fokus mehr hat. Die finanzielle Unabhängigkeit hätte ihm theoretisch viele neue Möglichkeiten gegeben, aber tatsächlich hat sie die Leere, die er in seinem Inneren verspürt, eher verstärkt.
Ein weiteres zentrales Thema sind Aggressionen, die besonders in Situationen auftreten, in denen Alex sich getriggert oder gestresst fühlt. Er hat oft das Gefühl, überflutet zu werden von Erinnerungen an alte Verletzungen und kann sich in diesen Momenten nur schwer beruhigen. Diese aggressiven Reaktionen wirken sich sowohl auf seine eigene Befindlichkeit als auch auf seine Beziehung zu anderen aus.
Ziele des Klienten
Alex kam mit dem Wunsch, seine emotionalen Trigger besser zu verstehen und Methoden zu entwickeln, um mit den aufkommenden Aggressionen besser umgehen zu können. Er möchte auch die emotionalen Narben, die durch das schwierige Verhältnis zu seiner Mutter entstanden sind, aufarbeiten und für sich eine stabilere emotionale Basis schaffen. Ein weiteres Ziel ist es, seine Rolle in seinem jetzigen Leben zu finden und wieder eine Form von Sinn und Struktur zu erleben.
Verlauf des Erstgesprächs
Das Erstgespräch diente vor allem dazu, eine vertrauensvolle Basis zu schaffen und Alex dabei zu unterstützen, seine Gefühle offen auszusprechen. Es war besonders wichtig, eine wertschätzende und empathische Haltung einzunehmen, um Alex die Sicherheit zu vermitteln, dass all seine Erfahrungen hier Platz haben dürfen. Ich habe aktiv zugehört, seine Worte reflektiert und ihn immer wieder gefragt, wie sich bestimmte Erlebnisse oder Gefühle für ihn angefühlt haben. Dabei habe ich bewusst auf eine nicht-direktive Vorgehensweise gesetzt, um Alex die Richtung des Gesprächs selbst bestimmen zu lassen.
Wir haben auch kurz über einige Möglichkeiten gesprochen, wie er sich in stressigen Momenten selbst beruhigen könnte, z.B. durch Achtsamkeitsübungen oder das bewusste Erkennen von Triggern. Diese Ansätze wurden jedoch nur als Optionen vorgestellt, da der Fokus in dieser ersten Sitzung auf der Exploration und dem Verständnis der aktuellen Situation lag.
Reflexion für die Ausbildungsgruppe
Diese Fallgeschichte bietet eine gute Möglichkeit, über den personzentrierten Ansatz zu reflektieren. Besonders deutlich wird hier die Bedeutung der bedingungslosen Wertschätzung und des empathischen Zuhörens. Alex war von Beginn an bereit, sehr offen über seine Kindheit und seine Schwierigkeiten zu sprechen, was darauf hinweist, dass es ihm half, einen Raum zu haben, in dem er nicht bewertet wird.
Fragen zur Reflexion:
Wie würdet ihr sicherstellen, dass ein Klient wie Alex die Kontrolle über den Verlauf des Gesprächs behält?
Welche Ansätze könnten in den kommenden Sitzungen hilfreich sein, um Alex dabei zu unterstützen, seine emotionale Balance wiederzufinden?
Wie könnten wir als Lebensberater Struktur bieten, ohne die Autonomie des Klienten einzuschränken?
Ich freue mich auf eure Gedanken und die gemeinsame Diskussion.
Antworten und Ansätze zu den Fragen zur Reflexion
Hier sind mögliche Antworten und Ansätze zu den Fragen zur Reflexion, die im Kontext von Alex' Fallgeschichte diskutiert werden könnten:
Frage 1: Wie würdet ihr sicherstellen, dass ein Klient wie Alex die Kontrolle über den Verlauf des Gesprächs behält?
Offene und reflektierende Fragen stellen: Offene Fragen ermöglichen es Alex, selbst zu entscheiden, welche Themen er vertiefen möchte. Beispielsweise Fragen wie „Was beschäftigt Sie gerade besonders?“ oder „Was möchten Sie heute besprechen?“ geben ihm die Freiheit, das Gespräch zu lenken.
Nicht-direktive Haltung: Der Berater vermeidet es, Themen vorzugeben oder eigene Annahmen aufzuzwingen. Stattdessen wird Alex ermutigt, den Weg des Gesprächs zu bestimmen. Wenn ein bestimmtes Thema zur Sprache kommt, könnte der Berater fragen: „Möchten Sie darüber noch weiter sprechen, oder gibt es etwas anderes, das Ihnen wichtig ist?“
Aktives Zuhören und Zusammenfassen: Regelmäßiges Zusammenfassen dessen, was Alex gesagt hat, kann ihm helfen, den Überblick zu behalten und selbst zu entscheiden, wohin das Gespräch als nächstes führen soll. Beispielsweise: „Sie haben gesagt, dass Sie sich zunehmend verloren fühlen, besonders in stressigen Situationen. Möchten Sie hier tiefer einsteigen oder etwas anderes ansprechen?“
Die Möglichkeit zum „Stopp“ geben: Dem Klienten immer wieder die Möglichkeit zu geben, ein Thema zu stoppen oder zu wechseln, fördert die Kontrolle. Es kann auch hilfreich sein, dies explizit anzusprechen: „Falls Sie das Gefühl haben, dass es genug ist oder wir ein Thema wechseln sollten, sagen Sie es bitte jederzeit.“
Frage 2: Welche Ansätze könnten in den kommenden Sitzungen hilfreich sein, um Alex dabei zu unterstützen, seine emotionale Balance wiederzufinden?
Achtsamkeitsübungen: Achtsamkeitsübungen, wie Atemtechniken oder Bodyscans, könnten Alex helfen, bewusster im gegenwärtigen Moment zu bleiben und intensive emotionale Reaktionen zu regulieren. Diese Übungen fördern die Selbstwahrnehmung und können eine hilfreiche Grundlage sein, um emotionale Trigger zu erkennen und zu mildern.
Ressourcenaktivierung: Gemeinsam mit Alex könnte eine Liste von Ressourcen erarbeitet werden – Aktivitäten oder Personen, die ihm Sicherheit und Ruhe vermitteln. Beispiele könnten Sport, bestimmte Hobbies oder enge Freunde sein. Diese Ressourcen könnten genutzt werden, um emotionale Ausgeglichenheit zu unterstützen.
Arbeit mit Triggern: Das Erkennen und Analysieren von Triggern, die seine Aggressionen auslösen, könnte ein wichtiger Schritt sein. Hierbei könnte Alex ermutigt werden, ein Tagebuch zu führen, in dem er Trigger, die auftretenden Gefühle und mögliche Reaktionen festhält. Dies würde ihm helfen, ein besseres Verständnis seiner emotionalen Muster zu entwickeln.
Selbstfürsorge entwickeln: Alex könnte angeleitet werden, konkrete Strategien zur Selbstfürsorge zu entwickeln, z.B. tägliche Routinen, die ihm gut tun. Diese können einfache Dinge sein, wie ein Spaziergang, Musik hören oder bewusste Entspannungsphasen in den Alltag einzubauen.
Imagination und Visualisierung: Positive Imaginationen könnten dabei helfen, emotionale Stärke aufzubauen. Zum Beispiel könnte Alex angeleitet werden, sich einen sicheren Ort vorzustellen, an dem er sich wohlfühlt. Dies könnte in belastenden Momenten zur Regulation beitragen.
Frage 3: Wie könnten wir als Lebensberater Struktur bieten, ohne die Autonomie des Klienten einzuschränken?
Gemeinsame Zielsetzung: Die Ziele werden gemeinsam mit Alex besprochen und formuliert. Dies schafft eine Struktur für die Sitzungen, gibt jedoch Alex die Möglichkeit, die Richtung und Prioritäten zu bestimmen. Fragen wie „Was möchten Sie bis zum nächsten Gespräch erreicht haben?“ oder „Was wäre für Sie ein wertvolles Ergebnis unserer Arbeit?“ helfen dabei, Ziele zu definieren, ohne Vorgaben zu machen.
Flexible Sitzungsgestaltung: Es kann hilfreich sein, eine Grundstruktur anzubieten, die jedoch flexibel bleibt. Beispielsweise könnte jede Sitzung damit beginnen, dass Alex kurz erzählt, was ihm in den letzten Tagen aufgefallen ist oder wie es ihm geht. Danach hat er die Freiheit, zu entscheiden, welches Thema im Vordergrund stehen soll.
Psychoedukation als Option anbieten: Psychoedukation über emotionale Reaktionen, Aggressionsbewältigung oder Trauma könnte Alex helfen, seine Gefühle besser zu verstehen. Der Berater könnte dies jedoch immer als Angebot und nicht als Muss formulieren. Zum Beispiel: „Falls es für Sie hilfreich ist, könnte ich Ihnen erklären, was in stressigen Momenten in Ihrem Körper passiert. Möchten Sie darüber mehr erfahren?“
Kleine „Hausaufgaben“ als Vorschläge: Hausaufgaben oder Übungen zwischen den Sitzungen können eine hilfreiche Struktur bieten, sollten jedoch stets als freiwillig verstanden werden. Beispielsweise könnte vorgeschlagen werden, Achtsamkeitsübungen auszuprobieren oder ein Gefühlstagebuch zu führen – aber nur, wenn Alex sich damit wohl fühlt. „Wenn Sie möchten, könnten Sie versuchen, in den nächsten Tagen Ihre Gefühle zu beobachten und diese aufzuschreiben. Aber es ist auch in Ordnung, wenn Sie das nicht tun.“
Regelmäßige Reflexion: Regelmäßige Reflexionen über den Fortschritt der Sitzungen geben Struktur, ohne die Autonomie einzuschränken. Zum Beispiel könnte der Berater am Ende jeder Sitzung zusammenfassen, was besprochen wurde, und Alex fragen, ob dies auch für ihn stimmig ist oder ob er etwas ändern möchte.
Diese Ansätze fördern die Selbstwirksamkeit des Klienten und bieten gleichzeitig eine unterstützende, aber nicht bevormundende Struktur. Entscheidend ist es, immer wieder zu betonen, dass Alex die Richtung und das Tempo vorgibt, während der Berater als unterstützende Begleitung zur Seite steht.