Die COVID-19-Pandemie hat unser Leben auf den Kopf gestellt und viele von uns in eine Situation gebracht, die von Unsicherheit, Isolation und Angst geprägt ist. Doch gerade in diesen Momenten zeigt sich, wie wichtig ein authentischer Umgang mit unseren Gefühlen ist. Peter F. Schmid, einer der Begründer der personzentrierten Psychotherapie in Österreich, beleuchtet in seinem Essay „Personzentrierte und persönliche Anmerkungen zu Angst und Hoffnung in Zeiten der Seuche“ die vielschichtigen Reaktionen auf die Pandemie und stellt Fragen, die bis heute relevant sind.
Die Natur der Angst
Angst ist ein tief menschliches Gefühl, das uns vor Bedrohungen schützt, uns aber auch aus dem Gleichgewicht bringen kann. In Zeiten der Pandemie wurde die Angst für viele Menschen zu einem ständigen Begleiter. Nicht nur die Angst vor der eigenen Erkrankung, sondern auch die Sorge um geliebte Menschen, wirtschaftliche Unsicherheit und die Ungewissheit über die Zukunft prägten den Alltag.
Peter F. Schmid spricht von einer „extremen Inkongruenz“, einem Widerspruch zwischen dem Bild, das wir von uns selbst haben, und den Erfahrungen, die wir in der Pandemie machen mussten. Diese Inkongruenz löst eine tiefgreifende Angst aus, die uns zur Auseinandersetzung mit unserer eigenen Verletzlichkeit zwingt. Doch genau in diesem Prozess liegt eine Chance: Die Angst zeigt uns, dass wir neu definieren müssen, wer wir sind und wie wir mit der Welt um uns herum umgehen.
Hoffnung ohne Illusion
Oft wurde während der Pandemie von Hoffnung gesprochen – der Hoffnung auf ein baldiges Ende, auf die Rückkehr zur Normalität. Schmid macht deutlich, dass es einen entscheidenden Unterschied gibt zwischen „Hoffnungen“ und echter „Hoffnung“. Hoffnungen, so beschreibt er, lenken uns oft ab und verleiten uns dazu, die Gegenwart zu verdrängen. Sie beruhen auf Wunschvorstellungen über die Zukunft, die wir nicht beeinflussen können.
Echte Hoffnung hingegen findet im Hier und Jetzt statt. Sie bedeutet, sich der Gegenwart voll und ganz zu stellen, auch wenn diese unangenehm ist. Hoffnung heißt, die Ressourcen zu nutzen, die wir in uns tragen, und darauf zu vertrauen, dass wir in der Lage sind, uns selbst zu verstehen und unser Leben aktiv zu gestalten. Es geht darum, präsent zu sein und nicht in Fantasien über eine bessere Zukunft zu flüchten.
Der Umgang mit Angst
Ein zentraler Punkt, den Schmid hervorhebt, ist der konstruktive Umgang mit Angst. Angst ist nichts, was wir einfach beseitigen sollten. Sie ist vielmehr ein Indikator dafür, dass wir uns mit wichtigen Aspekten unseres Lebens auseinandersetzen müssen. Die Angst, die viele von uns in der Pandemie gespürt haben, könnte also als Anstoß verstanden werden, sich selbst besser kennenzulernen, authentischer zu leben und echte Verbindungen zu anderen Menschen zu suchen.
Dabei betont Schmid, dass dieser Prozess nicht alleine geschehen muss. Begegnung und Austausch sind gerade in Zeiten der Isolation unersetzlich. Auch wenn wir physisch getrennt sind, bleibt die menschliche Verbindung essenziell für unser psychisches Wohlbefinden. Wir sind aufeinander angewiesen, um mit unserer Angst umzugehen und die Hoffnung zu bewahren.
Freiheit versus Sicherheit
Die politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie – von Ausgangsbeschränkungen über Maskenpflicht bis hin zu Überwachungsmaßnahmen – haben eine alte Debatte wieder aufgeworfen: Was ist wichtiger, Freiheit oder Sicherheit? Schmid hinterfragt die langfristigen Konsequenzen der Maßnahmen und fordert dazu auf, kritisch zu überlegen, welche persönlichen Freiheiten wir bereit sind aufzugeben. Er mahnt, dass der Weg zur dauerhaften Kontrolle oft mit den besten Absichten gepflastert ist, aber auf lange Sicht das Vertrauen in unsere Gesellschaft erodieren könnte.
Ein personzentrierter Ansatz
Aus der Sicht des personzentrierten Ansatzes geht es darum, Menschen darin zu unterstützen, ihre eigenen Gefühle anzunehmen und zu verarbeiten. Es geht nicht darum, die Angst zu verdrängen oder durch oberflächliche Hoffnung zu beruhigen, sondern darum, authentisch zu sein und sich selbst zu begegnen. Gerade in Krisenzeiten ist diese Haltung von unschätzbarem Wert.
Der personzentrierte Ansatz, den Carl Rogers entwickelt hat, sieht den Menschen als fähig, seine eigenen Probleme zu verstehen und zu lösen, wenn er in einer wertschätzenden und unterstützenden Umgebung ist. Diese Idee wird durch Schmids Worte bestätigt: Nur durch das ehrliche Zulassen unserer Ängste können wir wachsen und uns weiterentwickeln.
Fazit
Die Pandemie hat viele von uns mit einer tiefen, existenziellen Angst konfrontiert. Diese Angst kann uns blockieren, aber sie kann auch eine Chance sein, uns selbst und unser Leben zu hinterfragen. Hoffnung ist nicht das blinde Vertrauen, dass alles gut wird, sondern die aktive Entscheidung, sich der Gegenwart zu stellen und das Beste aus ihr zu machen. Der personzentrierte Ansatz hilft uns dabei, einen Weg zu finden, unsere Ängste anzunehmen und daran zu wachsen.