Das Ankern ist eine der zentralen Techniken im Neurolinguistischen Programmieren (NLP). Seine Wurzeln liegen in der klassischen Konditionierung, die von Iwan Pawlow entwickelt wurde. Pawlow zeigte, dass ein neutraler Reiz mit einem bedeutungsvollen Reiz verknüpft werden kann, sodass der neutrale Reiz schließlich eine Reaktion auslöst. Diese Idee wurde von den NLP-Begründern Richard Bandler und John Grinder aufgegriffen und weiterentwickelt, um gezielt emotionale Zustände zu beeinflussen und nutzbar zu machen.
Die Hirnforschung unterstützt die Idee des Ankerns durch Erkenntnisse über neuronale Plastizität – die Fähigkeit des Gehirns, Verbindungen zwischen Neuronen zu verändern und neue neuronale Bahnen zu schaffen. Durch das bewusste Setzen von Ankern wird die neuronale Verknüpfung zwischen bestimmten Reizen und emotionalen Reaktionen gestärkt, was das automatische Abrufen erwünschter Zustände erleichtert. Studien zeigen, dass wiederholte positive Erfahrungen, die bewusst verankert werden, helfen können, die emotionalen Reaktionen auf zukünftige ähnliche Situationen zu verbessern (siehe z.B. Kandel, Eric: In Search of Memory, 2006; Doidge, Norman: The Brain That Changes Itself, 2007).
Anker können visuell, auditiv oder kinästhetisch gesetzt werden und dienen dazu, das emotionale Erleben in herausfordernden Situationen zu steuern. In diesem Manuskript werden verschiedene Techniken des Ankerns vorgestellt. Diese helfen dabei, positive Ressourcen zu aktivieren und unangenehme Gefühle in den Griff zu bekommen.
Definition und Prinzipien des Ankerns
Ankern bedeutet, einen bestimmten emotionalen oder körperlichen Zustand gezielt mit einem spezifischen Auslöser zu verknüpfen. Durch diese Verknüpfungen wird es möglich, den gewünschten Zustand in bestimmten Situationen schnell und effektiv wiederherzustellen. Dies ist insbesondere hilfreich, wenn man auf Herausforderungen wie Lampenfieber, Stress oder Entscheidungsblockaden reagiert. Zum Beispiel kann ein visueller Anker, wie das Drücken der eigenen Handfläche, helfen, während einer Präsentation Ruhe und Gelassenheit zu bewahren. Es gibt unterschiedliche Formen von Ankern:
Visuelle Anker: Gesten, Gesichtsausdrücke, Körperhaltung oder bestimmte Positionen im Raum.
Auditive Anker: Tonfall, Lautstärke, bestimmte Klänge oder Musik.
Kinästhetische Anker: Berührungen, bestimmte Bewegungen oder Druck auf bestimmte Körperstellen.
Wichtige Faktoren beim Setzen eines Ankers
Um einen Anker effektiv zu setzen, sollten einige zentrale Faktoren beachtet werden:
Sinnliche Wahrnehmung und Kalibrierung: Es ist essentiell, den Zustand der Person präzise zu beobachten. Indikatoren wie Atmung, Muskelspannung, Hautfarbe oder Blickrichtung können dabei helfen, sicherzustellen, dass der gewünschte Zustand tatsächlich erreicht wurde.
Timing: Der Anker muss zum optimalen Zeitpunkt gesetzt werden – weder zu früh noch zu spät – um eine effektive Verknüpfung herzustellen.
Rapport herstellen: Die eigene Stimme, Körperhaltung und Mimik sollten mit dem gewünschten Zustand des Partners synchronisiert werden, um eine tiefe empathische Verbindung zu schaffen. Eine solche Verbindung impliziert, dass sich der Partner verstanden und unterstützt fühlt, was die Effektivität des Ankerprozesses maßgeblich verstärkt.
Anleitung zum Ankern
Einflussreiche Erinnerungen aktivieren: Bitten Sie Ihren Partner, sich an eine Situation zu erinnern, in der er einen positiven Zustand besonders intensiv erlebt hat. Dies kann Freude, Gelassenheit oder Zuversicht sein.
Erleben intensivieren: Verwenden Sie Formulierungen wie: „Versetz dich zurück in diese Situation, als würdest du sie jetzt erleben. Sieh, was du siehst, hör, was du hörst, fühl, was du fühlst.“ Ein Beispiel könnte sein: „Stell dir vor, du stehst wieder auf dieser Bühne, spürst das Selbstvertrauen, hörst das begeisterte Publikum und siehst die strahlenden Gesichter.“ Solche konkreten Anweisungen verstärken die Intensität des Erlebens.
Den Anker setzen: Sobald der gewünschte Zustand intensiv erlebt wird, setzen Sie den Anker. Dies kann durch eine Berührung (z. B. auf der Schulter), eine spezifische Geste oder ein bestimmtes Wort erfolgen. Der Anker wird mit dieser Erfahrung verknüpft.
Anker testen: Unterbrechen Sie den Zustand, beispielsweise durch einen Themenwechsel oder eine Bewegung. Lösen Sie dann den Anker erneut aus und beobachten Sie, ob der gewünschte Zustand zurückkehrt.
Anker verketten (Chaining)
Das Verketten von Ankern ist eine Technik, um von einem unerwünschten Zustand zu einem erwünschten Zustand zu gelangen. Diese Methode ist besonders hilfreich, wenn es darum geht, schrittweise emotionale Barrieren zu überwinden und Motivation aufzubauen. Zum Beispiel kann das Verketten von Ankern genutzt werden, um von einer Phase des Zögerns zu einem entschlossenen Handeln zu gelangen, indem man nach und nach die inneren Widerstände abbaut und positive Gefühle verstärkt. Sie wird häufig in Situationen eingesetzt, in denen es notwendig ist, blockierende Gefühle wie Zögern oder Frustration in Entschlossenheit und Tatkraft umzuwandeln. Dabei werden mehrere Anker in einer festen Reihenfolge gesetzt, um Schritt für Schritt eine positive Transformation zu bewirken. Hier ein Beispiel:
Zögern: Der Zustand des Zögerns wird assoziiert und auf dem kleinen Finger geankert.
Genervt sein: Der Zustand des Genervtseins wird assoziiert und auf dem Ringfinger geankert.
Ungeduld: Der Zustand der Ungeduld wird assoziiert und auf dem Mittelfinger geankert.
Unbändige Lust: Ein Zustand, in dem starke Lust auf etwas bestand, wird auf dem Zeigefinger geankert.
Go for it!: Der Zustand der Entschlossenheit und des ungebremsten Handelns wird auf dem Daumen geankert.
Diese Anker werden wiederholt aktiviert, bis der unerwünschte Zustand automatisch in den erwünschten Zustand übergeht.
Der Ressourcen-Kreis
Der Ressourcen-Kreis ist besonders nützlich in Situationen, in denen es darum geht, innere Kraft und Selbstvertrauen zu stärken, um herausfordernde Ereignisse besser zu bewältigen. Eine weitere hilfreiche Technik im NLP ist der Ressourcen-Kreis. Dabei wird ein symbolischer Kreis auf dem Boden visualisiert, der als Raum für positive Ressourcen dient:
Kreis visualisieren: Der Partner stellt sich einen farbigen Kreis vor sich auf dem Boden vor und wählt ein positives Wort, das diesen Kreis begleitet (z. B. „Super“ oder „Kraft“).
Kraftvollen Zustand auswählen: Ein guter, kraftvoller Zustand wird ausgewählt und im Partner intensiviert.
Den Kreis betreten: Der Partner tritt in den visualisierten Kreis und verankert dabei das Gefühl mit einem tiefen Atemzug und dem gesprochenen Wort. Der Ressourcen-Kreis kann dann später genutzt werden, um in herausfordernden Situationen wieder in einen kraftvollen Zustand zu gelangen.
Anker verschmelzen
Bei der Technik des Anker-Verschmelzens werden unangenehme Zustände mit Ressourcen kombiniert, um das emotionale Erleben zu verbessern. Der Partner wird dazu angeleitet, einen unangenehmen Zustand zu erleben und gleichzeitig eine Ressource zu aktivieren, die den Zustand positiv beeinflusst. Zum Beispiel könnte eine Ressource ein Gefühl von Sicherheit oder ein beruhigendes Bild sein, das der Partner bereits in einer entspannten Situation erlebt hat.
Unangenehme Situation erleben und ankern: Der Partner wählt eine unangenehme Situation aus, in die er geführt wird und die geankert wird.
Ressource finden: Danach wird eine positive Ressource gefunden, die helfen kann, mit der unangenehmen Situation besser umzugehen.
Ressource und unangenehmer Zustand kombinieren: Der Partner wird aufgefordert, sich wieder in die unangenehme Situation zu begeben, während die Ressource gleichzeitig aktiviert wird, um eine positive Veränderung zu bewirken.
Fazit
Die Techniken des Ankerns im NLP bieten vielseitige Möglichkeiten, Zustände gezielt zu steuern und Ressourcen zu aktivieren. Sie helfen dabei, in herausfordernden Situationen ruhig und kraftvoll zu bleiben und erwünschte Zustände zu fördern. Ob durch Verketten von Ankern, das Erstellen eines Ressourcen-Kreises oder das Verschmelzen von Ankern – diese Methoden ermöglichen es, bewusste Veränderungen im emotionalen Erleben zu bewirken und den Alltag gestärkt zu meistern.
Literaturhinweise
Sandler, Richard / Grinder, John: Neue Wege der Kurzzeittherapie, Paderborn 1979 (Junfermann Verlag).
Stahl, Thies: Neurolinguistisches Programmieren (NLP), Mannheim 1992 (Pal-Verlag).
O'Connor, Joseph / Seymour, John: Neurolinguistisches Programmieren, Freiburg 1992 (VAK-Verlag).
Kandel, Eric: In Search of Memory, New York 2006 (W.W. Norton & Company).
Doidge, Norman: The Brain That Changes Itself, New York 2007 (Penguin Books).
Weiterführendes Material
Um eine visuelle Einführung in die Techniken des Ankerns zu erhalten, empfehle ich folgendes Video auf YouTube:Ankern im NLP erklärt - Praxisnahe Demonstration.