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Co-Abhängigkeit in der Familie: Wenn die Fürsorge zur Falle wird

Aktualisiert: 9. Apr.

Es beginnt oft schleichend. Ein Familienmitglied rutscht in eine Abhängigkeit – sei es Alkohol, Medikamente oder andere destruktive Muster – und jemand aus dem Umfeld beginnt, sich mitzuverantworten. Anfangs aus Liebe, Fürsorge, Mitgefühl. Doch irgendwann wird aus dem Helfen ein Sich-Aufopfern, aus dem Kümmern eine chronische Selbstverleugnung. So erging es auch einer Frau Anfang 60, deren Geschichte viele Parallelen zu anderen Angehörigen von Suchtkranken aufweist.


Zwischen Mutterpflicht und Selbstaufgabe

Seit Jahrzehnten begleitet sie ihren Sohn (44) durch Höhen und Tiefen. Seine Alkoholsucht entwickelte sich nach einer schmerzhaften Trennung. Trotz wiederholter Abstürze, Führerscheinentzügen und phasenweiser Aggression empfindet sie eine tiefe Verbundenheit. „Wenn er nüchtern ist, ist er ein lieber Mensch. Hilfsbereit. Ich verstehe mich gut mit ihm.“

Doch neben dem Sohn (44) fordert auch ihre eigene Mutter, mittlerweile hochbetagt, ihren täglichen Tribut. Mit 86 Jahren bleibt sie kontrollierend, fordernd und emotional manipulativ – ein Muster, das sich durch das ganze Leben der Tochter zieht. „Wenn ich nicht springe, wie sie will, ist sie gleich eingeschnappt.“


Die doppelte Belastung

Diese Konstellation – Sucht des Sohnes, emotionale Erpressung durch die Mutter – führt zu einer tiefgreifenden Erschöpfung. „Ich kann gar nicht mehr weinen“, sagt die Frau. „Ich bin innerlich verhärtet.“ Typische Symptome einer Anpassungsstörung oder beginnenden depressiven Entwicklung machen sich bemerkbar: Schlafprobleme, Grübeln, Rückzug, psychosomatische Beschwerden.


Dennoch ringt sie um Lösungen. Sie liest Fachliteratur, denkt über Selbsthilfegruppen nach, probiert Techniken aus, um sich zu stabilisieren – doch der Weg zur Selbstfürsorge ist mühsam. „Ich will nicht herzlos sein, aber ich will endlich wieder aufrecht gehen können.“


Warum Abgrenzung kein Egoismus ist

Co-Abhängigkeit ist ein häufiges, aber wenig beachtetes Phänomen. Wer permanent die Verantwortung für andere trägt, verliert irgendwann den Zugang zu den eigenen Bedürfnissen. Besonders Mütter von süchtigen Kindern erleben oft ein Wechselbad aus Schuld, Scham, Hoffnung und Wut. Der Gedanke, sich abzugrenzen, erscheint als Verrat.

Doch emotionale Selbstfürsorge ist kein Verrat, sondern Überlebensstrategie. Wie ein Therapeut es formulierte: „Du kannst jedem Menschen sein Leben zutrauen.“ Es braucht Mut, den anderen ihr eigenes Schicksal zu überlassen – und sich selbst das Recht auf ein gutes Leben zurückzuholen.


Erste Schritte aus der Co-Abhängigkeit

Was kann helfen?

  • Teilnahme an Angehörigengruppen (z. B. API, AA), um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.

  • Psychotherapeutische Unterstützung, um Schuldgefühle zu verarbeiten und sich emotional neu zu orientieren.

  • Selbstfürsorge-Rituale im Alltag: Bewegung, bewusste Ernährung, Pausen – auch wenn sie klein erscheinen.

  • Grenzen setzen, auch wenn es anfangs schwerfällt. Wer immer „Ja“ sagt, verliert sich selbst.


Fazit

Diese Geschichte steht exemplarisch für viele stille Heldinnen und Helden des Alltags, die jahrelang tragen, halten, stützen – bis sie nicht mehr können. Der Ausstieg aus der Co-Abhängigkeit ist schwer, aber möglich. Nicht über Nacht, nicht ohne Rückschläge, aber mit jedem Schritt hin zu sich selbst wächst ein Stück Freiheit zurück.

 
 
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