Einleitung: Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen
Die Störungen in diesem Abschnitt zeichnen sich durch ihre Symptomatologie, ihren Verlauf und vor allem durch klar definierbare Auslöser aus. Diese können entweder ein außergewöhnlich belastendes Lebensereignis (z. B. ein Trauma) oder eine gravierende Lebensveränderung sein, die eine anhaltend unangenehme Situation hervorruft. Im Gegensatz zu anderen psychischen Erkrankungen, bei denen psychosoziale Belastungen nur einen indirekten Einfluss haben können, stehen bei diesen Störungen die Belastung und ihre Folgen im Mittelpunkt der Entstehung. Ohne die belastenden Ereignisse oder Umstände würden diese Störungen nicht auftreten.
Die individuelle Vulnerabilität und die vorhandenen Bewältigungsstrategien beeinflussen die Ausprägung und den Verlauf der Störungen. Diese behindern häufig erfolgreiche Bewältigungsmechanismen und können somit die soziale Funktionsfähigkeit beeinträchtigen.
F43.0: Akute Belastungsreaktion
Definition:
Eine vorübergehende psychische Störung, die bei einem psychisch stabilen Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung auftritt. Diese Reaktion klingt in der Regel innerhalb von Stunden oder Tagen ab.
Symptome:
• Initialphase: Gefühl von “Betäubung”, Bewusstseinseinengung, eingeschränkte Aufmerksamkeit, Desorientiertheit.
• Weitere Entwicklung: Rückzug bis hin zu dissoziativem Stupor oder Unruhezustände mit Überaktivität (z. B. Fluchtreaktionen).
• Körperliche Reaktionen: Panische Angst, Tachykardie, Schwitzen, Erröten.
• Amnesie: Teilweise oder vollständige Erinnerungslücken können auftreten.
Verlauf:
Die Symptome beginnen Minuten nach dem belastenden Ereignis und klingen meist innerhalb von 2–3 Tagen ab. Halten sie länger an, sollte eine Änderung der Diagnose in Betracht gezogen werden.
Inkludiert:
• Akute Belastungsreaktion
• Psychischer Schock
• Akute Krisenreaktion
F43.1: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Definition:
Eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß.
Typische Merkmale:
• Wiedererleben des Traumas: Flashbacks, intrusive Erinnerungen, Alpträume.
• Emotionale Stumpfheit: Gleichgültigkeit, Teilnahmslosigkeit, Vermeidung traumaassoziierter Aktivitäten.
• Vegetative Übererregtheit: Übermäßige Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, gesteigerte Wachsamkeit.
• Begleiterscheinungen: Angst, Depression, Suizidgedanken.
Verlauf:
Die Symptome treten mit einer Latenz von Wochen bis Monaten nach dem Trauma auf. Meistens heilt die Störung, in seltenen Fällen kann sie jedoch chronisch werden und in eine andauernde Persönlichkeitsveränderung übergehen.
Inkludiert:
• Traumatische Neurose
F43.2: Anpassungsstörungen
Definition:
Zustände emotionaler und psychischer Belastung, die in der Regel während eines Anpassungsprozesses an bedeutende Lebensveränderungen oder belastende Ereignisse auftreten.
Ursachen:
• Individuelle Faktoren: Persönliche Prädisposition und Vulnerabilität.
• Lebensereignisse: Trauerfälle, Trennungen, Migration, berufliche Veränderungen, Ruhestand.
Symptome:
• Depressive Stimmung, Angst, Sorge.
• Schwierigkeiten, alltägliche Herausforderungen zu bewältigen.
• Sozialverhaltensstörungen, besonders bei Jugendlichen.
Verlauf:
Die Symptome können kurz- oder langfristig bestehen und äußern sich in depressiven oder angstbezogenen Reaktionen sowie sozialer Dysfunktion.
Inkludiert:
• Trauerreaktion
• Kulturschock
• Hospitalismus bei Kindern
Exkludiert:
• Trennungsangst in der Kindheit (F93.0)
F43.8: Sonstige Reaktionen auf schwere Belastungen
Störungen, die durch außergewöhnliche Belastungen ausgelöst werden, aber nicht in die oben genannten Kategorien fallen.
F43.9: Reaktion auf schwere Belastungen, nicht näher bezeichnet
Reaktionen auf belastende Ereignisse, die unklar definiert oder nicht spezifiziert sind.
Zusammenfassung der Hauptpunkte
• Primäre Auslöser: Außergewöhnliche Belastungen oder einschneidende Lebensveränderungen.
• Individuelle Faktoren: Vulnerabilität und Coping-Strategien beeinflussen die Ausprägung.
• Kategorien: Akute Belastungsreaktion, PTBS, Anpassungsstörungen, sonstige oder unklare Reaktionen.
• Verlauf: Meist selbstlimitierend, jedoch mit der Möglichkeit chronischer Verläufe bei fehlender Behandlung.
Die Z-Diagnosen (Kapitel XXI der ICD-10) umfassen Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen. Einige dieser Diagnosen können mit den F43-Diagnosen (Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen) korrelieren, da sie psychosoziale Belastungsfaktoren, Lebensumstände und Umweltbedingungen betreffen.
Hier eine Übersicht möglicher Zusammenhänge:
F43.0 – Akute Belastungsreaktion
Korrelierende Z-Diagnosen:
Z73.0: Burnout-Syndrom (Erschöpfung aufgrund von Lebensbelastungen).
Z73.3: Stress, nicht anderweitig klassifiziert.
Z63.4: Disharmonische Beziehung zu Eltern oder Partner.
Z63.6: Belastung durch Trennung oder Scheidung.
Z65.4: Psychologische Traumatisierung in der Vorgeschichte.
F43.1 – Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Korrelierende Z-Diagnosen:
Z63.7: Belastung durch Tod eines Familienmitglieds.
Z61.0: Verlust von Bezugspersonen in der Kindheit.
Z61.6: Kindheitserfahrungen mit körperlichem Missbrauch.
Z61.8: Andere schädliche Kindheitserfahrungen.
Z65.3: Belastung durch Verfolgung oder Folter.
Z65.5: Exposition gegenüber Katastrophen.
F43.2 – Anpassungsstörungen
Korrelierende Z-Diagnosen:
Z60.0: Probleme mit der Anpassung an den Wechsel zwischen Kulturen (z. B. Migration).
Z60.2: Probleme bei der Anpassung an Lebensphasenübergänge (z. B. Ruhestand, Elternschaft).
Z63.1: Probleme in der Beziehung zu Ehepartner oder Partner.
Z63.5: Verlust oder Abwesenheit eines Familienmitglieds.
Z63.9: Problematische familiäre Umstände, nicht näher bezeichnet.
Z59.0: Obdachlosigkeit.
Z59.1: Unzureichende Wohnverhältnisse.
F43.8 – Sonstige Reaktionen auf schwere Belastungen
Korrelierende Z-Diagnosen:
Z65.0: Inhaftierung oder andere rechtliche Probleme.
Z65.1: Konflikte mit der Gesetzgebung, ohne Inhaftierung.
Z65.8: Sonstige spezifizierte psychosoziale Umstände.
F43.9 – Reaktion auf schwere Belastungen, nicht näher bezeichnet
Korrelierende Z-Diagnosen:
Z73.2: Mangel an Entspannung und Freizeit.
Z73.4: Mangelnde Bewältigungsfertigkeiten.
Z60.4: Soziale Isolation und Ablehnung.
Z60.8: Sonstige Probleme mit sozialer Umgebung.
Zusammenfassung
Die Z-Diagnosen ergänzen die F43-Diagnosen, indem sie auf spezifische psychosoziale Belastungsfaktoren und Umstände hinweisen. Sie sind besonders hilfreich, um den Kontext der psychischen Störungen zu dokumentieren, insbesondere in der Diagnostik und Therapieplanung.