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AutorenbildThomas Laggner

Lernmanuskript: Das Milton-Modell der Hypnose

Aktualisiert: 13. Okt.

Das Milton-Modell der Hypnose beruht auf den therapeutischen Methoden von Milton H. Erickson, einem der einflussreichsten Hypnotherapeuten des 20. Jahrhunderts. Erickson revolutionierte die Hypnotherapie durch seinen kreativen und flexiblen Umgang mit sprachlichen Interventionen, die gezielt darauf abzielten, das Bewusstsein zu umgehen und das Unbewusste anzusprechen. Das Modell wurde von Richard Bandler und John Grinder, den Mitbegründern des Neurolinguistischen Programmierens (NLP), detailliert untersucht, systematisiert und in die NLP-Theorie integriert. Das Milton-Modell nutzt unspezifische Sprache, um Menschen in veränderte Bewusstseinszustände zu versetzen und den Zugang zu unbewussten Ressourcen zu ermöglichen. Während das Meta-Modell des NLP darauf abzielt, klare und präzise Sprache zu verwenden, um Missverständnisse aufzulösen und Bewusstsein zu schaffen, verfolgt das Milton-Modell den gegenteiligen Ansatz: Es erzeugt gezielt Mehrdeutigkeit, um das bewusste Denken zu umgehen und tiefere Ebenen des Erlebens zu erreichen.


Meta-Modell vs. Milton-Modell

Das Meta-Modell und das Milton-Modell sind zwei konträre Ansätze in der therapeutischen Sprachverwendung:

Meta-Modell

Milton-Modell

Weg: spezifische Sprache verwenden

Weg: unspezifische Sprache verwenden

Ziel: Informationen sammeln

Ziel: Informationen weglassen

Prozess: Bewusstsein schaffen

Prozess: Trancezustände induzieren

Zugänglichkeit: Vergessene Erfahrungen

Zugänglichkeit: Unbewusste Ressourcen

Das Meta-Modell verfolgt das Ziel, durch gezielte Fragen verallgemeinerte oder unklare Informationen wieder bewusst zu machen und präzise zu klären. Das Milton-Modell hingegen verwendet Sprachmuster, die es dem Zuhörer erlauben, die Bedeutung der Aussagen individuell zu füllen. Diese Techniken fördern die Induktion von Trancezuständen, indem das bewusste Denken zurücktritt und das Unbewusste aktiviert wird.


Grundlegende Sprachmuster des Milton-Modells

Das Milton-Modell nutzt eine Vielzahl sprachlicher Techniken, die darauf abzielen, das bewusste Denken zu umgehen und das Unbewusste des Klienten anzusprechen. Diese Techniken lassen sich in drei Hauptkategorien einteilen: Tilgung, Verallgemeinerung und Verzerrung.


1. Tilgung (Löschung)

Tilgung bedeutet, dass bestimmte Informationen in der Sprache bewusst weggelassen werden, sodass der Zuhörer die Bedeutung selbst ergänzen muss. Dadurch wird eine persönliche und tiefere Interpretation des Gesagten gefördert und der Klient wird dazu angeregt, innerlich aktiv zu werden.

  • Einfache Tilgung: Hier fehlen bestimmte Informationen, sodass der Zuhörer selbst ergänzen muss, was das Verständnis des Gesagten vertieft.

    • Beispiel: „Lass los.“ (Es bleibt offen, was genau losgelassen werden soll.)

  • Tilgung des Vergleichs: Ein Vergleich wird angedeutet, aber nicht spezifiziert, was zu einer vagen Vorstellung führt.

    • Beispiel: „Es geht dir schon besser.“ (Besser als was?)

  • Unspezifischer Bezug: Es fehlt die genaue Angabe, worauf oder auf wen sich das Gesagte bezieht. Dies schafft Raum für individuelle Interpretation.

    • Beispiele: „Manche Menschen sagen ...“, „Etwas in dir ...“

  • Unspezifische Verben: Verben, die keine präzisen Rückschlüsse auf das Erleben zulassen. Dies fördert, dass der Zuhörer eigene Erlebnisse einfügt.

    • Beispiele: „wahrnehmen“, „erleben“, „loslassen“

  • Nominalisierungen: Prozesswörter werden zu Substantiven, wodurch der Zuhörer seine eigenen Erfahrungen einbringen kann.

    • Beispiel: „Beziehung“, „Erfahrung“. Nominalisierungen ermöglichen es, dass der Zuhörer eine eigene Bedeutung einfügt.

2. Verallgemeinerung (Generalisierung)

Verallgemeinerungen werden verwendet, um universelle Aussagen zu treffen, die der Zuhörer selbst mit seinen individuellen Erfahrungen füllen kann.

  • Universelle Begriffe (Universalquantoren): Begriffe wie „immer“, „niemand“, „jeder“ lassen keinen Raum für Ausnahmen und verleihen den Aussagen dadurch Autorität.

    • Beispiel: „Du hast schon immer gewusst, dass du die Kraft in dir trägst.“

  • Modaloperatoren der Möglichkeit oder Notwendigkeit: Worte wie „müssen“, „können“, „sollen“ vermitteln eine Vorstellung von Möglichkeiten oder Notwendigkeiten.

    • Beispiel: „Du darfst dich jetzt entspannen.“

  • Verlorene Zitate, allgemeingültige Regeln, Zitate in Zitaten: Aussagen, deren Ursprung nicht klar ist, verleihen dem Gesagten zusätzliche Glaubwürdigkeit.

    • Beispiel: „Es ist bekannt, dass Entspannung dir helfen wird.“

3. Verzerrung (Phantasieren)

Verzerrungen verändern die Wahrnehmung bestimmter Aspekte des Erlebens oder verknüpfen verschiedene Inhalte auf eine Weise, die neue Bedeutungen entstehen lässt.

  • Gedankenlesen / Erlebnislesen: Der Sprecher behauptet, die Gedanken oder Gefühle des Zuhörers zu kennen, was oft zu einem Gefühl des Verstandenwerdens führt.

    • Beispiel: „Du fragst dich vielleicht, was als Nächstes passiert.“

  • Verbindung, Ursache-Wirkung, Äquivalenz: Es werden Zusammenhänge zwischen verschiedenen Erlebnissen hergestellt, die zu einer gewünschten Verknüpfung von Ereignissen führen.

    • Beispiel: „Und während du tief atmest, wirst du noch ruhiger.“

  • Verdeckte Aufforderungen: Aussagen, die dazu verleiten, etwas Bestimmtes zu tun, ohne dies direkt zu befehlen.

    • Beispiel: „Vielleicht möchtest du jetzt deine Augen schließen und dich entspannen.“

Techniken zur Tranceinduktion

1. Pacing und Leading: Sprachliche Anpassung

  • Pacing: Der Hypnotherapeut spiegelt das Erleben des Klienten. Das bedeutet, dass er das gegenwärtige Erleben des Klienten beschreibt („Du hörst meine Stimme“, „Du spürst den Boden unter deinen Füßen“). Zum Beispiel kann der Therapeut sagen: „Während du tief atmest, kannst du vielleicht spüren, wie sich deine Schultern langsam entspannen.“ Pacing schafft Vertrauen, indem die aktuelle Erfahrung des Klienten anerkannt wird.

  • Leading: Nachdem das Vertrauen durch Pacing aufgebaut wurde, beginnt der Therapeut, den Klienten in neue Erlebnisse zu führen („Während du meine Stimme hörst, kannst du bemerken, wie du immer tiefer entspannt wirst“).

2. Trance-Signale erkennen

Veränderte Bewusstseinszustände – oder Trance – lassen sich an bestimmten Körpersignalen erkennen:

  • Muskelentspannung: Vor allem im Gesicht, Nacken und in den Schultern.

  • Veränderte Augen: Pupillenvergrößerung oder starrer Blick.

  • Verlangsamte Atmung und Puls: Die Atmung wird ruhiger, tiefer und erfolgt oft mehr im Bauchbereich.

  • Verzögerte Reflexe: Reflexe wie Lidschlag oder Schlucken verlangsamen sich.

Diese Anzeichen können jedoch individuell unterschiedlich stark ausgeprägt sein, da jeder Mensch auf Trance unterschiedlich reagiert.

3. Die 5-4-3-2-1-Technik zur Tranceinduktion

Diese Technik ist eine schrittweise Methode, um eine tiefe Entspannung und Trance zu induzieren:

  1. 5 Wahrnehmungen benennen, die sicher vorhanden sind (z.B. „Du siehst den Raum, du hörst meine Stimme, du spürst den Stuhl unter dir ...“).

  2. 4 Wahrnehmungen, die bestehen, und 2 erwünschte Erfahrungen, die sich entwickeln sollen (z.B. „Während du den Raum siehst und meine Stimme hörst, kannst du vielleicht beginnen, eine tiefe Ruhe zu spüren“).

  3. Fortsetzen mit 3 bestehenden und 3 erwünschten Erfahrungen, dann 2 bestehende und 4 erwünschte und schließlich 1 bestehende und 5 erwünschte Erfahrungen.

  4. Ziel ist es, die Aufmerksamkeit allmählich von der äußeren Umgebung auf das innere Erleben zu lenken.

Metaphern und ihre Bedeutung in der Hypnotherapie

Metaphern sind ein essenzielles Werkzeug in der Hypnotherapie, um das Unbewusste des Klienten anzusprechen. Sie ermöglichen es, schwierige Themen auf eine indirekte und oft weniger bedrohliche Weise zu bearbeiten.

1. Metaphern für Zustände entwickeln

  • Problemzustand als Metapher: Der Klient beschreibt einen negativen Zustand als Metapher, z.B. „Es fühlt sich an wie ein dunkler, enger Raum“.

  • Zielzustand als Metapher: Anschließend wird eine Metapher für den gewünschten Zustand gefunden, z.B. „Es fühlt sich an wie eine sonnendurchflutete Wiese“.

2. Die Kraft der Geschichten

  • Geschichten erzählen: Eine Metapher kann als Geschichte verwendet werden, die den Klienten vom problematischen Zustand in einen positiven Zustand führt. Beispielsweise kann die Hauptfigur durch eine Tür treten und sich plötzlich an einem friedlichen Ort wiederfinden. Diese Art der symbolischen Reise ermöglicht es dem Klienten, sich selbst in dieser Veränderung zu sehen.

Pattern Interrupt – Unterbrechung von Mustern

Die Unterbrechung gewohnter Muster kann helfen, festgefahrene Denk- oder Verhaltensweisen zu durchbrechen und neue Perspektiven zu öffnen.

1. Musterunterbrechungstechniken

  • Verhaltensmuster blockieren: Ein typisches Verhaltensmuster des Klienten wird unerwartet unterbrochen, bevor es abgeschlossen werden kann. Ein Beispiel ist das plötzliche Unterbrechen des Rituals des Händeschüttelns oder das Innehalten mitten im Satz.

  • Verwirrungstechniken: Verwirrung ist ein wirkungsvolles Mittel, um das kritische Bewusstsein zu umgehen und dem Klienten zu helfen, sich tiefer zu entspannen. Doppelbödige Aussagen wie „Welches Mal war berührend, dieses Mal oder ein anderes Mal?“ führen den Klienten in eine tiefere Reflexion.

Trance beenden

Genauso wichtig wie das Einleiten einer Trance ist das sichere und sanfte Beenden der Trance. Der Klient sollte wieder vollständig ins Hier und Jetzt zurückkehren, um sich erfrischt und wach zu fühlen.

1. Techniken zum Beenden der Trance

  • Rückführung durch Zählen: Der Therapeut zählt von 10 nach 1 und suggeriert dabei, dass der Klient mit jedem Schritt wacher wird.

  • Aufhebung von Suggestionen: Suggestionen, die während der Trance gegeben wurden, werden aufgehoben, z.B. „Wenn du deine Augen öffnest, wirst du dich erfrischt und wach fühlen.“

  • Posthypnotische Suggestionen: Der Therapeut gibt Hinweise, die dem Klienten ermöglichen, bei einer erneuten Sitzung noch leichter in Trance zu gehen.

Zusammenfassung

Das Milton-Modell stellt ein kraftvolles Instrument in der Hypnotherapie dar, das mithilfe unspezifischer Sprache, Verallgemeinerungen und Verzerrungen das bewusste Denken umgeht und unbewusste Ressourcen aktiviert. Es nutzt die Fähigkeit des menschlichen Geistes, Lücken selbstständig zu füllen und eigene Bedeutungen zu konstruieren. Auf diese Weise kann der Klient tiefer in sein inneres Erleben eintauchen und neue Lösungen entdecken.

Die wichtigsten Techniken des Milton-Modells – wie Pacing und Leading, die 5-4-3-2-1-Technik, der Einsatz von Metaphern sowie die Musterunterbrechung – können durch regelmäßige Übung in der therapeutischen Praxis wirkungsvoll eingesetzt werden. Ein Beispiel ist der Einsatz von Pacing und Leading, um einen Klienten mit starker Unruhe in einen ruhigen Zustand zu führen, was in zahlreichen Fällen zur Reduktion von Stress und Angstsymptomen führte. Ebenso hat die 5-4-3-2-1-Technik vielen Menschen geholfen, schneller in eine tiefe Entspannung zu gelangen und so ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Diese Techniken unterstützen den Klienten dabei, Zugang zu inneren Ressourcen zu finden, die ihm oft nicht bewusst sind, und bieten damit die Möglichkeit, tiefgreifende Veränderungen zu bewirken.



Übungen zur Anwendung des Milton-Modells

  1. Unspezifische Sprache im Alltag verwenden: Übungen im alltäglichen Gespräch können dabei helfen, ein Gefühl für unspezifische Sprachmuster zu entwickeln und zu sehen, wie Menschen darauf reagieren.

  2. Die 5-4-3-2-1-Technik üben: Arbeite mit einem Partner und übt die Technik, um das Führen der Aufmerksamkeit (Pacing und Leading) zu verinnerlichen.

  3. Metaphern entwickeln: Entwickle für verschiedene problematische Zustände Metaphern und versuche, diese in Geschichten zu verwenden, die den Übergang zu einem positiven Zustand erleichtern.


Mit der Anwendung des Milton-Modells kannst du als Therapeut oder Coach tiefgehende Veränderungen unterstützen und Klienten helfen, ihre unbewussten

Ressourcen besser zu nutzen.



 
 






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