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AutorenbildThomas Laggner

Thema: Stalking und Erpressung

Frau G., eine Frau Mitte 40, befindet sich in einer hochgradig belastenden und komplexen Lebenssituation, die sich durch destruktive Beziehungsmuster und erhebliche psychische Belastungen auszeichnet. Nach über zwanzig Jahren in einer emotional distanzierten und kontrollierenden Ehe suchte sie durch eine Affäre nach einem Ausweg aus der empfundenen Leere und emotionalen Vernachlässigung. Der Beginn der Affäre entfachte zunächst neue Hoffnung und das Gefühl von Freiheit. Doch anstelle der ersehnten Erfüllung fand sich Frau G. bald in einer noch beengenderen Beziehung wieder, die von Kontrolle, Manipulation und emotionalem Missbrauch geprägt ist.

Ihr neuer Partner, der zunehmend besitzergreifendes und aggressives Verhalten zeigt, setzt sie massiv unter Druck und droht, intime Fotos und Details ihrer Beziehung zu veröffentlichen, sollte sie sich von ihm lösen wollen. Diese fortwährenden Drohungen, tägliche Anrufe und emotionale Erpressung treiben Frau G. in einen Zustand chronischer Angst und Hilflosigkeit. Ihr Ehemann, der von der Affäre erfahren hat, reagiert darauf mit Gleichgültigkeit und Schuldzuweisungen, was ihr Gefühl der Isolation und inneren Zerrissenheit verstärkt.

Frau G. leidet infolgedessen unter psychischen Symptomen wie Depressionen, Angstzuständen und Symptomen einer möglichen posttraumatischen Belastungsstörung. Die Gewalt und Bedrohungen, denen sie ausgesetzt ist, sowie das Fehlen eines unterstützenden Umfelds belasten sie emotional und physisch. Trotz dieser Herausforderungen konnte sie Unterstützung bei einer Frauenberatungsstelle finden, die ihr erste Schritte zur rechtlichen und emotionalen Absicherung aufgezeigt hat.

Diese Fallbeschreibung dient als Grundlage für die nachfolgenden Analysen, die aus verschiedenen psychologischen und therapeutischen Perspektiven das Verhalten des Therapeuten, die Dynamiken in den Beziehungen von Frau G. und die therapeutischen Herausforderungen beleuchten.


Im Dokument wird eine Geschichte einer Frau beschrieben, die in einer komplexen und belastenden Beziehung steckt. Die Erzählung beginnt mit einer Vertrauenskrise in ihrer Ehe aufgrund von beidseitigen Affären, wobei der Mann und die Frau jeweils Fehler eingestehen, die das Vertrauen tief erschüttern. Diese Situation führt die Frau in eine Affäre, aus der sie jedoch versucht, sich zu lösen, nachdem sie merkt, dass diese Person aggressives und manipulatives Verhalten an den Tag legt.

Die Frau beschreibt im Detail die Bedrohungen und die Kontrolle, die ihr Ex-Partner über sie ausübt. Er belästigt sie täglich durch Anrufe, erpresst sie mit intimen Fotos und übt emotionalen Druck aus, um die Beziehung aufrechtzuerhalten. Ihr Ehemann reagiert darauf mit Gleichgültigkeit und sieht ihre Schwierigkeiten mit dem Stalker als eine von ihr selbst verursachte Situation an.

Das Dokument beleuchtet die verschiedenen Ebenen der emotionalen und physischen Belastung, der die Frau ausgesetzt ist. Sie berichtet von Gewalttaten des Ex-Partners, finanzieller Ausbeutung, und wie sie selbst in die Rolle der "Versorgerin" gerät. Durch die Drohungen, intime Bilder zu veröffentlichen, befindet sie sich in einem ständigen Zustand der Angst und emotionalen Erpressung. Die Geschichte enthält zahlreiche Hinweise auf psychische Auswirkungen wie Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen, die durch die Erlebnisse verschärft werden.

Abschließend findet sie schließlich Unterstützung bei Beratungsstellen wie der Frauenhelpline gegen Gewalt, die ihr eine Perspektive und einen Ausweg aus der Situation aufzeigen.


Schlüsselthemen und rechtliche Aspekte:

  • Stalking: Wiederholtes Bedrängen und Verfolgen der Frau durch den Ex-Partner.

  • Erpressung: Drohungen mit der Veröffentlichung von Fotos und finanzieller Druck.

  • Nötigung und Bedrohung: Physische und verbale Drohungen durch den Ex-Partner.

  • Psychische Auswirkungen: Depression, Angstzustände und posttraumatische Belastungen.

  • Opferschutz und Rechtshilfe: Unterstützung durch Frauen-Helplines und rechtliche Mittel wie die Anzeigenerstattung bei der Polizei.


Schlussfolgerung: Der Bericht zeigt eindrücklich die psychologischen und rechtlichen Herausforderungen, denen Opfer von Stalking und Erpressung gegenüberstehen. Die Unterstützung von spezialisierten Einrichtungen kann helfen, rechtliche Maßnahmen einzuleiten und langfristige psychologische Betreuung zu gewährleisten.


In der Analyse des Gesprächs und des Verhaltens des Therapeuten aus der Perspektive eines Kriseninterventionsteams ergeben sich mehrere Aspekte, die für den Umgang mit der Klientin von Bedeutung sind:

1. Aktives Zuhören und Empathie

  • Der Therapeut zeigt ein hohes Maß an aktivem Zuhören und Empathie. Er nimmt die emotionale Not der Klientin ernst, lässt sie ausführlich sprechen und bietet ihr Raum, um ihre Sorgen und Ängste zu formulieren. Diese empathische Haltung ist besonders wichtig in einer Krisensituation, da sie Vertrauen schafft und das Gefühl vermittelt, verstanden und nicht verurteilt zu werden.

2. Validierung und Unterstützung

  • Der Therapeut bestätigt die Erlebnisse und Gefühle der Klientin, insbesondere in Bezug auf die erlittene Bedrohung und Erpressung. Diese Validierung trägt zur Stabilisierung bei, indem sie die Klientin in ihrer Wahrnehmung stärkt und ihr hilft, die Verantwortung nicht allein bei sich zu suchen. Für das Kriseninterventionsteam ist dies ein wichtiger Bestandteil, da er das Selbstwertgefühl des Opfers stützt und in der ersten Phase der Bewältigung des Traumas stärkt.

3. Identifikation und Benennung von Straftaten

  • Im Gespräch beschreibt der Therapeut die Handlungen des Stalkers als schwerwiegende Straftaten, wie Erpressung, Nötigung, Stalking und Gewaltandrohung. Er betont mehrfach die rechtlichen Konsequenzen für den Täter. Diese klare Benennung ist wichtig, um der Klientin das Ausmaß der Bedrohung bewusst zu machen und ihr die Ernsthaftigkeit der Situation deutlich vor Augen zu führen. Kriseninterventionskräfte setzen oft ebenfalls auf eine klare Darstellung der Rechtslage, um das Opfer zu stabilisieren und ihm zu zeigen, dass seine Wahrnehmung der Situation korrekt ist.

4. Ermutigung zur Selbstwirksamkeit und Handlungsempfehlungen

  • Der Therapeut ermutigt die Klientin, aktive Schritte zur Selbstverteidigung zu ergreifen. Dazu gehören das Einholen von Hilfe durch die Polizei, das Sammeln von Beweismaterial und das Blockieren der Nummer des Stalkers. Diese Handlungsanweisungen zielen darauf ab, der Klientin das Gefühl von Kontrolle und Selbstwirksamkeit zurückzugeben. Ein Kriseninterventionsteam würde ähnlich vorgehen und ebenfalls klare, pragmatische Schritte aufzeigen, die das Opfer direkt umsetzen kann, um seine Sicherheit zu gewährleisten.

5. Betonung auf langfristige Betreuung und professionelle Hilfe

  • Der Therapeut weist auf die Notwendigkeit einer therapeutischen Unterstützung hin und beschreibt die Möglichkeit, langfristig an der posttraumatischen Belastung und den emotionalen Schäden zu arbeiten. Dies zeigt die realistische Einschätzung der Situation: Die Probleme sind komplex und benötigen mehr als nur kurzfristige Maßnahmen. Kriseninterventionsteams handeln oft mit dem gleichen Ansatz und verweisen auf weiterführende Unterstützungsangebote, um dem Opfer eine längerfristige Stabilität zu ermöglichen.

6. Kulturelle Sensibilität

  • Im Gespräch scheint der Therapeut ein gewisses Verständnis für die kulturellen und familiären Hintergründe der Klientin zu haben, die sie in einer schwierigen Position halten. Er nimmt die familiären und kulturellen Aspekte wahr, die ihre Entscheidungsfindung beeinflussen, und vermittelt Verständnis für die Schwierigkeiten, die durch familiären Druck und kulturelle Normen entstehen. Ein Kriseninterventionsteam würde diesen kulturellen Kontext ebenfalls berücksichtigen, um sicherzustellen, dass die Hilfestellungen der Lebensrealität und den sozialen Verpflichtungen der Klientin gerecht werden.

7. Risikoeinschätzung und Sicherheit des Opfers

  • Der Therapeut scheint den Gefährlichkeitsgrad des Stalkers als hoch einzustufen und empfiehlt, alle verfügbaren rechtlichen Mittel auszuschöpfen. Er weist darauf hin, dass der Täter durch verschiedene Straftaten, darunter körperliche Gewalt und Bedrohung, bereits gefährliches Verhalten gezeigt hat. Diese Risikoeinschätzung könnte ein Kriseninterventionsteam zur Aktivierung weiterer Schutzmaßnahmen veranlassen, z. B. zur Zusammenarbeit mit der Polizei und zum Einrichten eines Schutzplanes.


Fazit

Die Vorgehensweise des Therapeuten entspricht in vielen Punkten der eines Kriseninterventionsteams. Er vermittelt Empathie, validiert die Erlebnisse der Klientin, benannt klar die rechtlichen Straftatbestände, und ermutigt zur Selbstwirksamkeit durch Handlungsempfehlungen. Allerdings könnte ein Kriseninterventionsteam möglicherweise noch direkter mit Schutzmaßnahmen arbeiten, indem es in Absprache mit der Polizei konkrete Schritte zur physischen Sicherheit plant.


Als Therapeut könnten Sie in dieser Situation gemäß dem Gewaltschutzgesetz in bestimmten Bereichen anders und proaktiver handeln. Hier sind zentrale Punkte, bei denen Sie eventuell schon früher intervenieren oder Maßnahmen ergreifen könnten:

1. Gefährdungsanalyse und Schutzmaßnahmen

  • Da der Täter wiederholt gewalttätig war, physische und psychische Bedrohungen ausgesprochen und das Opfer massiv bedrängt hat, hätten Sie die Möglichkeit, proaktiv eine Gefährdungsanalyse anzusprechen und die Klientin über Möglichkeiten zur sofortigen Sicherstellung ihrer Sicherheit zu informieren. Gemäß dem Gewaltschutzgesetz könnten Sie beispielsweise die Klientin ermutigen, direkt eine gerichtliche Verfügung zu beantragen, die dem Täter verbietet, sich ihr zu nähern oder Kontakt aufzunehmen.

2. Unterstützung bei der Anzeigenerstattung

  • In diesem Fall beschreibt die Klientin detailliert die Erpressung, die Bedrohungen und die körperlichen Übergriffe durch den Täter. Sie hätten bereits während der Sitzung konkrete Schritte einleiten können, um die Klientin bei einer Anzeige zu unterstützen. Das Gewaltschutzgesetz erlaubt es, auch im Rahmen der psychosozialen und rechtlichen Unterstützung enger mit den Polizeibehörden zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass der Täter von der Klientin ferngehalten wird.

3. Aufklärung über rechtliche Schritte und Sofortmaßnahmen

  • Gemäß Gewaltschutzgesetz könnten Sie die Klientin explizit darauf hinweisen, dass die Polizei ermächtigt ist, dem Täter bei unmittelbarer Gefahr ein Kontaktverbot auszusprechen und ihn vorübergehend von der Wohnung fernzuhalten. Ein sofortiger Hinweis auf diese Rechte könnte die Klientin in ihrer Handlungsfähigkeit stärken und ihr ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle zurückgeben.

4. Kontaktaufnahme zu Opferschutzeinrichtungen

  • Obwohl Sie bereits auf die Frauen-Helpline hingewiesen haben, könnten Sie als Therapeut gemäß dem Gewaltschutzgesetz eine direkte Kontaktaufnahme zu einer Opferschutzeinrichtung (wie Frauenberatungsstellen oder dem Weißen Ring) vorschlagen oder sogar selbst initiieren, sofern die Klientin zustimmt. Dies könnte eine Begleitung zur Polizei und durch den juristischen Prozess beinhalten, die das Opfer oft stark entlastet.

5. Psychoedukation über die Bedeutung einer gerichtlichen Verfügung

  • Die Aufklärung der Klientin über die möglichen rechtlichen Schutzmaßnahmen, die durch eine gerichtliche Verfügung oder Einstweilige Verfügung erreicht werden können, wäre ebenfalls ein wichtiger Schritt. Sie könnten die Klientin darüber informieren, dass solche Verfügungen, wie sie das Gewaltschutzgesetz vorsieht, dazu dienen, den Täter von jeglichem Kontakt abzuhalten und somit die Sicherheit und Ruhe für das Opfer herzustellen.


Fazit

Zusammengefasst hätten Sie als Therapeut gemäß dem Gewaltschutzgesetz möglicherweise früher intervenieren können, indem Sie präventive Maßnahmen und Schutzmöglichkeiten stärker betonen und durch eine direkte Unterstützung bei rechtlichen Schritten (z. B. einer polizeilichen oder gerichtlichen Verfügung) konkret umsetzen. Ein Krisenplan, der sowohl eine rechtliche als auch eine psychosoziale Unterstützung umfasst, könnte die Sicherheit und das Wohlbefinden der Klientin schneller und effektiver fördern.


Aus Sicht eines Psychotherapiewissenschaftlers lässt sich das Erstgespräch als eine wichtige diagnostische und therapeutische Intervention analysieren, die mehrere relevante Aspekte umfasst:

1. Aufbau einer therapeutischen Beziehung und Schaffung eines sicheren Rahmens

  • Der Therapeut scheint sich im Gespräch aktiv darum zu bemühen, eine vertrauensvolle und empathische Atmosphäre zu schaffen. Dies ist besonders im Erstgespräch mit einem traumatisierten Klienten von zentraler Bedeutung, da das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen die Basis für eine gelingende therapeutische Beziehung bildet. Durch aktives Zuhören und wertfreie Annahme fördert der Therapeut den Raum, den die Klientin benötigt, um ihre belastende Geschichte zu erzählen.

  • Ein Psychotherapiewissenschaftler würde dies als „Holding Environment“ (Winnicott) interpretieren, also eine sichere Umgebung, in der die Klientin sich ohne Angst vor Verurteilung öffnen kann. Dies ist ein entscheidender Schritt, um erste emotionale Entlastung zu ermöglichen.

2. Exploration und Validierung von Emotionen und Erfahrungen

  • Der Therapeut geht auf die Erfahrungen der Klientin ein, bestätigt ihre Wahrnehmungen und benennt die Schwere der Erlebnisse, wie Erpressung, Drohungen und Stalking, als reale Bedrohungen. Diese Validierung der Emotionen und Erfahrungen der Klientin trägt dazu bei, dass sie sich in ihrem Leiden ernst genommen fühlt.

  • Aus psychotherapeutischer Sicht ist die Validierung von großer Bedeutung, insbesondere in der Arbeit mit traumatisierten Klienten, da sie oft mit Selbstzweifeln und Schuldgefühlen zu kämpfen haben. Die Bestätigung durch den Therapeuten kann helfen, eine kognitive Dissonanz abzubauen und die innere Verwirrung zu mildern.

3. Erkennen und Benennen traumatischer Muster

  • Der Therapeut zeigt Verständnis für die Schwere der psychischen Belastungen, die auf Erlebnissen von Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung basieren, und scheint die langfristigen Auswirkungen dieser Erfahrungen zu erfassen. Er geht dabei explizit auf Symptome hin, die auf eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung hindeuten, wie Depression, Abhängigkeit und wiederkehrende Selbstzweifel.

  • Aus der Perspektive der Psychotherapiewissenschaft ist dies ein wichtiger Schritt: Das Erkennen und Benennen traumatischer Muster kann die Klientin in die Lage versetzen, ihre aktuellen Probleme als Folge vergangener Traumatisierungen zu verstehen, was wiederum eine wichtige Basis für die therapeutische Arbeit bildet. Dies fördert die kognitive Integration der Erfahrungen und verhindert, dass das Trauma als „unsagbar“ und daher isoliert bleibt.

4. Förderung von Selbstwirksamkeit und Handlungskompetenz

  • Der Therapeut schlägt konkrete Handlungsmaßnahmen vor, wie das Aufsuchen von Beratungsstellen oder die Anzeigeerstattung. Diese Art von Vorschlägen gibt der Klientin praktische Werkzeuge an die Hand, um wieder Kontrolle über die Situation zu gewinnen und das Gefühl von Ohnmacht zu mindern.

  • Aus wissenschaftlicher Perspektive wird die Förderung der Selbstwirksamkeit als zentral für die Genesung von traumatisierten Personen angesehen. Sie ermöglicht es der Klientin, sich aus der passiven Opferrolle zu lösen und aktive Schritte zur Verbesserung ihrer Lebenssituation zu unternehmen. Dies unterstützt nicht nur die Stabilisierung, sondern auch die langfristige Resilienz.

5. Ansätze zur Traumatherapie und Bewältigungsstrategien

  • Der Therapeut legt nahe, dass therapeutische Unterstützung in Form einer weiterführenden Therapie notwendig und hilfreich sein könnte, um die emotionalen Wunden zu heilen und die posttraumatische Belastung langfristig zu bewältigen. Dies entspricht einem wissenschaftlich fundierten Verständnis von Traumatherapie, die auf kontinuierlicher Bearbeitung der traumatischen Erlebnisse beruht.

  • Der Einsatz stabilisierender Techniken, etwa das Erlernen von Selbstberuhigungsstrategien, könnte in diesem Fall ein nächster Schritt sein, um die Klientin auf die weiterführende therapeutische Arbeit vorzubereiten. Ein Psychotherapiewissenschaftler würde hier die Relevanz solcher Interventionen betonen, um eine chronische Traumatisierung zu verarbeiten und die emotionale Regulation zu verbessern.

6. Achtsamkeit für kulturelle und familiäre Dynamiken

  • Der Therapeut scheint Verständnis für die kulturellen und familiären Einflüsse zu zeigen, die die Entscheidungsfindung und die Problematik der Klientin beeinflussen. Er nimmt wahr, dass die kulturellen Werte, die Familiendynamik und der familiäre Druck eine wichtige Rolle in der Lebenswelt der Klientin spielen.

  • Für die Psychotherapiewissenschaft ist dies von großer Bedeutung, da kulturelle Sensibilität in der Therapie zunehmend als wesentlich erkannt wird. Besonders bei der Arbeit mit Klienten aus patriarchal geprägten Kulturen oder aus Gemeinschaften mit starken familiären Bindungen ist es wichtig, die sozialen Kontexte zu berücksichtigen und die therapeutische Unterstützung entsprechend anzupassen.

7. Langfristige Perspektive und Rückgriff auf Ressourcen

  • Der Therapeut empfiehlt die Nutzung externer Ressourcen, etwa durch Opferschutzeinrichtungen, die Klientin begleitet und ihr zusätzliche rechtliche und emotionale Unterstützung bieten können. Das Konzept, auf bestehende Ressourcen zurückzugreifen, wird in der Psychotherapiewissenschaft als Ressourcenerweiterung bezeichnet und ist für den Aufbau von Resilienz bei traumatisierten Klienten essenziell.

  • Die langfristige Perspektive, die der Therapeut der Klientin aufzeigt, unterstreicht das wissenschaftliche Verständnis, dass komplexe Traumaaufarbeitungen Zeit benötigen und auf ein Netz von Unterstützung angewiesen sind.


Zusammenfassung

Aus psychotherapiewissenschaftlicher Sicht zeigt das Erstgespräch mehrere zentrale Merkmale einer fundierten, traumasensitiven Intervention. Der Therapeut legt den Fokus auf das Verstehen und Validieren der traumatischen Erfahrungen, die Förderung von Selbstwirksamkeit und die Eröffnung von Handlungsperspektiven. Die sensible Handhabung familiärer und kultureller Kontexte und die Unterstützung durch externe Ressourcen schaffen eine starke Grundlage für die Bewältigung der komplexen Problematik der Klientin.

Insgesamt bildet das Gespräch eine wertvolle Grundlage für eine weiterführende psychotherapeutische Arbeit, indem es erste emotionale Stabilität fördert und die Klientin in ihrer Fähigkeit stärkt, Schritte aus der belastenden Situation zu unternehmen.


Fallbeschreibung (Freud): Die Frau ohne Frieden

Es war ein milder Frühlingstag, als Frau G. zum ersten Mal mein Arbeitszimmer betrat. Sie war eine Frau von ungefähr 43 Jahren, von kräftiger Statur und blassen Zügen, die in ihren dunklen Augen jene Erschöpfung trug, die nicht nur von Schlaflosigkeit herrührt, sondern von den inneren Kämpfen, die ihre Seele in Atem hielten. Frau G. war eine Frau, die mit ihren Worten zögerte, als ob jeder Satz das Potential in sich trüge, eine Lawine des Schmerzes loszutreten.

Sie begann ihre Geschichte – zunächst leise, mit langen Pausen, als sei es eine Erzählung, die selbst für sie noch immer unerhört war. Frau G. beschrieb eine Ehe, die zwei Jahrzehnte zurückreichte, erfüllt von Tradition und Pflichten, aber ohne jene Wärme, die sie einst erhofft hatte. Ihr Mann, ein strenger und traditioneller Mann, hatte sie bereits früh in ihrem gemeinsamen Leben in einer Atmosphäre des Misstrauens und der Kontrolle gehalten. Sie selbst hatte sich, wie sie sagte, stets gehorsam und pflichtbewusst verhalten und sich ihren Rollen als Ehefrau und Mutter gefügt.

Aber das Schicksal sollte einen anderen Weg für Frau G. bereithalten. Nach zwanzig Jahren der Selbstaufgabe war ein anderer Mann in ihr Leben getreten. Dieser Mann, ein Fremder in jeder Hinsicht, entzündete in ihr ein Feuer, das sie lange als erloschen geglaubt hatte. Sie beschrieb die Begegnung als einen „Ausrutscher“, als etwas, das außerhalb ihres eigenen Willens lag. Doch bald zeigte dieser Mann eine dunkle Seite – er wurde besitzergreifend, kontrollierend und schließlich bedrohlich. Was als kurzer Ausflug in die Freiheit begann, verwandelte sich in eine Gefangenschaft, aus der sie sich selbst kaum mehr zu befreien wusste.

Dieser Mann begann, sie zu belästigen, täglich hunderte Male anzurufen und ihr nachzustellen. Er drohte, intime Bilder und Nachrichten an ihre Familie zu senden, um sie zu demütigen. Frau G. fand sich in einem Wechselspiel der Bedrohung und der Ohnmacht, aus dem sie kaum noch einen Ausweg zu sehen vermochte. Ihr eigener Ehemann hatte zwar von der Beziehung erfahren, jedoch nicht mit Mitgefühl reagiert, sondern mit Verachtung und Schuldzuweisungen.

In unserer Sitzung schilderte Frau G. eine Kindheit voller Härte und Gewalt. Ihre Mutter hatte sie als Säugling verlassen, und ihr Vater war ein Mann, der sie sowohl misshandelte als auch gleichzeitig für ihre Loyalität zu ihm forderte. Diese frühen Jahre formten in Frau G. eine eigenartige, beinahe zwanghafte Neigung, sich an jenen zu binden, die ihr Schmerz zufügten. Sie schien fast unbewusst jenen zu verzeihen, die sie verletzten, und dabei stets auf deren Liebe und Anerkennung zu hoffen.

Als wir tiefer in die Wurzeln ihres Leidens eindrangen, wurde offensichtlich, dass Frau G. sich in einer Wiederholung ihrer frühen Traumata befand. Der Mann, der sie bedrohte und erniedrigte, trat nun in dieselbe Rolle, die einst ihr Vater eingenommen hatte. Die Rolle des Ehemannes, der sie kontrollierte und verhöhnte, war die Fortsetzung dieser fatalen Bindung an autoritäre Figuren, die ihre eigenen Unsicherheiten auf sie projizierten.

Ich konnte beobachten, dass Frau G. trotz des enormen Leids, das ihr diese Männer zufügten, eine seltsame Loyalität ihnen gegenüber empfand, als ob sie instinktiv fürchtete, ohne ihre Nähe in einer Kälte und Einsamkeit zu versinken, die noch schmerzhafter sei als der Missbrauch selbst. Diese Dynamik war es, die sie gefangen hielt – ein Muster der Selbstaufgabe und der Hoffnung, durch Hingabe doch noch die Liebe zu erlangen, die ihr von jeher verwehrt geblieben war.

Im Verlauf unserer Sitzungen wurde allmählich deutlich, dass Frau G. diese Männer als Projektionen ihrer eigenen inneren Konflikte wahrnahm. Sie suchte in ihnen jenen Schutz und jene Geborgenheit, die sie in ihrer Kindheit nie erfahren hatte. Doch die Unfähigkeit, Grenzen zu setzen und sich selbst zu schützen, führte sie immer wieder in jene Abgründe, die sie erneut an ihre frühen Traumata erinnerten.

Unser Ziel war es, Frau G. behutsam an den Punkt zu führen, an dem sie ihr eigenes Selbst wertschätzen und diese destruktiven Bindungen aufgeben könnte. Es war eine Aufgabe von tiefster Tragweite und von ungewisser Aussicht, denn das Verlangen nach Anerkennung und die Angst vor Verlassenheit saßen tief in ihrer Seele, untrennbar verwoben mit ihren frühen Erfahrungen.

In der vorläufigen Analyse von Frau G.s Fall war es mir klar, dass der Schlüssel zu ihrer Heilung in der Auflösung dieser fatalen Bindungen lag. Doch dies war ein Prozess, der Zeit, Geduld und vor allem eine sanfte Führung erforderte. Frau G. musste den Mut finden, die zerstörerischen Beziehungen in ihrem Leben zu beenden und den Frieden in sich selbst zu suchen – eine Aufgabe, die ihr so unerreichbar schien wie das Licht, das hinter den dunklen Wolken verborgen bleibt.


Stil von Milton H. Erickson

Fallbeschreibung: Die Frau in der Sackgasse

Frau G. kam zu mir, eine Frau Mitte 40, mit einem schweren Schatten in ihrem Blick und einer zurückhaltenden Unsicherheit in ihrem Auftreten. Sie setzte sich, verschränkte ihre Hände im Schoß und atmete tief durch, als wollte sie sich für die bevorstehende Geschichte sammeln.

"Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte, aber ich bin irgendwie in eine Sackgasse geraten," begann sie. Ihre Stimme war fest, doch sie verriet den Schmerz und die Verzweiflung, die hinter ihren Worten lagen. Sie beschrieb mir eine unglückliche Ehe, die seit über zwei Jahrzehnten von Pflichtgefühl und kulturellen Erwartungen zusammengehalten wurde. Es war eine Ehe, die in den Jahren so fest wie die Mauern eines Gefängnisses geworden war.

In ihrem Leben war kürzlich ein Mann aufgetaucht, der die feste Fassade ihrer Existenz ins Wanken gebracht hatte. Die neue Verbindung hatte in Frau G. eine Sehnsucht geweckt, die sie längst für verloren geglaubt hatte. Doch was anfangs wie eine Befreiung wirkte, wurde schnell zur Bedrohung. Dieser Mann entwickelte eine zunehmend besitzergreifende Art, rief sie ununterbrochen an, stellte ihr nach und drohte, ihre gemeinsamen Geheimnisse an die Öffentlichkeit zu bringen, sollte sie sich von ihm abwenden. Das Abenteuer, das sie sich gewünscht hatte, war zu einem Albtraum geworden.

Ihr Ehemann war von der Affäre in Kenntnis gesetzt worden und begegnete ihr seither mit Verachtung und Zurückweisung. Er machte ihr Vorwürfe, doch statt ihr zu helfen, sie zu stützen, zog er sich zurück und ließ sie allein mit ihren Schuldgefühlen und Ängsten. Frau G. fand sich gefangen zwischen den Wünschen ihrer Familie und den unbarmherzigen Forderungen des neuen Mannes.

Während Frau G. sprach, bemerkte ich, dass sie fest mit der Rolle derjenigen verhaftet war, die „aushalten“ musste. Als sie von ihrer Kindheit erzählte, wurden die Wurzeln dieser Überzeugung sichtbar. Aufgewachsen in einem strengen, traditionellen Umfeld, hatte sie früh gelernt, dass Liebe mit Leid verknüpft war und dass man für Anerkennung oft ein hohes Maß an Anpassung und Selbstaufgabe leisten musste.

Ich hörte ihr aufmerksam zu und überlegte, welche Muster und Ressourcen bereits in ihr angelegt waren und wie ich ihr helfen konnte, sie zu erkennen und zu nutzen. Frau G. suchte in ihrer Umwelt nach einem Ausweg, doch mein Ziel war es, ihr zu zeigen, dass die Veränderung von innen heraus beginnen musste – ein altes Prinzip, das ich bei vielen Patienten beobachtet habe.

Ich beschloss, Frau G. zu ermutigen, ihre Perspektive auf ihre Situation zu verändern. Ich begann, ihr Fragen zu stellen, die ihre Vorstellungskraft anregten und sie dazu brachten, Möglichkeiten zu sehen, die sie bislang übersehen hatte.

„Was, glauben Sie, könnte eine Frau wie Sie in einer solchen Situation tun?“ fragte ich sanft und beobachtete die Reaktionen in ihrem Gesicht. Sie schien einen Moment lang überrascht, als ob ihr diese Frage zum ersten Mal gestellt worden wäre.

„Ich... ich weiß es nicht,“ antwortete sie zögerlich. Ich lächelte und nickte leicht. „Nun,“ sagte ich, „ich denke, Sie wissen es sehr wohl, vielleicht mehr, als Sie glauben. Was würde eine Frau tun, die spürt, dass sie ein Recht auf ihr eigenes Glück hat?“

Im Verlauf der Sitzungen half ich ihr, gedanklich kleine Schritte zu entwickeln, die ihr wieder Selbstkontrolle und Handlungsfähigkeit zurückgeben würden. Ich sprach viel in Metaphern und nutzte Geschichten, die sie aus ihrer eigenen Kultur kannte, um ihr Mut zu machen und eine neue Sichtweise zu eröffnen.

Ich erzählte ihr eine Geschichte von einer Pflanze, die mitten in einem felsigen, trockenen Land wuchs. Diese Pflanze lernte, dass sie nicht auf Wasser von außen angewiesen war, sondern tiefere Wurzeln entwickeln konnte, um die verborgenen Ressourcen zu finden, die sie zum Wachsen brauchte.

Frau G. hörte aufmerksam zu und lächelte schließlich. Sie verstand, dass sie die Kraft in sich selbst finden konnte, das Chaos um sie herum zu meistern. Es dauerte einige Zeit, aber nach und nach begann sie, das Muster zu erkennen, das sie immer wieder an Menschen band, die ihr Schaden zufügten.

Am Ende fand Frau G. ihre Antwort. Sie entschied, den Mann zu verlassen, der sie bedrohte, und sprach mit ihrem Ehemann über ihre eigene Not und ihre Wünsche. Sie begann, sich auf ihre Kinder zu konzentrieren und in kleinen Schritten ein Leben aufzubauen, das ihr mehr Frieden und innere Stärke gab.

Manchmal, wenn ich an Frau G. denke, erinnere ich mich an die kleine Pflanze im trockenen Land und wie sie gelernt hat, tiefere Wurzeln zu schlagen, um an die Quellen zu gelangen, die sie zum Blühen brachte. So habe ich Frau G. nicht nur geholfen, ihre Probleme zu lösen, sondern vielmehr einen Raum geschaffen, in dem sie selbst ihren eigenen Weg finden konnte – und das ist oft der einzige und beste Weg, jemandem zu helfen, der in einer Sackgasse steckt.


Richard Bandler

Fallbeschreibung: Die Frau in der Falle

Frau G., Anfang 40, kam mit einem Gesicht voller Sorgen in mein Büro, mit Augen, die verrieten, dass sie schon viel zu lange auf Autopilot unterwegs war. Da war eine tiefe Erschöpfung, die einem das Gefühl gab, ihr Leben sei wie eine kaputte Schallplatte, die an einem dunklen, verzweifelten Ton hängen blieb. Ich beobachtete, wie sie nervös die Hände knetete und von einer „Sackgasse“ sprach, in der sie sich fühlte, von „Fesseln“, die sie nicht loswurde. Sie war wie jemand, der den Mut verloren hatte, sich selbst zu befreien.

Als sie über ihre Ehe sprach, war das wie eine Liste alter Glaubenssätze, die sich um Pflichten, Schuld und den unvermeidlichen Wunsch nach einer illusorischen Perfektion drehten. Sie war seit über 20 Jahren verheiratet – eine Ehe, die sie als „Pflicht“ beschrieb. Ihr Mann, wie sie sagte, war kontrollierend, stand auf Traditionen und fühlte sich durch ihre „Verfehlungen“ noch bestärkt, sie kleinzuhalten.

Und dann war da dieser andere Typ. Sie hatte sich kurz von ihm angezogen gefühlt, als ob er eine Frischluftbrise wäre, nur um dann festzustellen, dass sie sich plötzlich mit einem Tornado eingelassen hatte, der ihr Leben aus den Fugen zu reißen drohte. Dieser Typ war ein echter Energievampir, der nicht losließ, drohte, ihre Geheimnisse zu veröffentlichen, sie zu erpressen – und das alles, weil sie die einzige war, die ihm „echte Liebe“ gezeigt hatte. So stellte sie sich das jedenfalls vor.

Jetzt passierte etwas wirklich Interessantes: Frau G. fühlte sich komplett gelähmt. Sie erzählte von ihrem Mann, der ihr mit kalter Wut begegnete, von einem Erpresser, der sie ständig terrorisierte, und von einer inneren Stimme, die ihr immer wieder sagte, dass es ihre eigene Schuld war. Sie hatte sich wie eine Marionette in einem Spiel verstrickt, das sie niemals gewinnen konnte.

„Gut,“ sagte ich mit einem Lächeln, „das ist eine ziemliche Suppe, die du dir da gekocht hast.“ Sie schaute mich verwirrt an, aber ich spürte, dass ich ihren inneren Zweifel berührt hatte.

Ich fragte sie, welche Bilder sie sah, wenn sie an diese beiden Männer dachte. „Ich sehe meinen Mann, wie er mich mit verschränkten Armen und kalten Augen anblickt,“ sagte sie. „Und der andere?“, hakte ich nach. „Er ist wie ein Schatten, der immer über mir schwebt, wie ein Raubvogel, der nur darauf wartet, dass ich einen Fehler mache.“ Da war es also – ihr Unterbewusstsein hielt sie in einem endlosen Horrorfilm fest, in dem sie die Hauptrolle spielte.

„Hör zu,“ sagte ich, „wir drehen diesen Film um.“ Ich lud sie ein, die beiden Männer in ihrer Vorstellung zu verkleinern. „Mach deinen Mann klein – nein, kleiner als das. Stell dir vor, er ist nur noch ein kleines Männchen, das dir nicht mehr das Geringste anhaben kann.“

Sie lachte plötzlich – eine echte, erleichterte Reaktion. „Ich sehe ihn in einem Anzug, der ihm viel zu groß ist,“ sagte sie mit einem Grinsen.

„Perfekt!“ antwortete ich. „Und jetzt den anderen. Sieh ihn als einen winzigen, hilflosen Vogel, der dich nicht mehr bedrohen kann. Mach ihn schwächer, schlaffer, hilfloser, bis er nicht mehr bedrohlich ist. Stell ihn dir vor, wie er in einer winzigen Schachtel verschwindet, wo er dir nichts mehr anhaben kann.“

Wir arbeiteten mit dieser Technik und ich konnte sehen, wie sie anfing, die Kontrolle über die Bilder in ihrem Kopf zurückzugewinnen. Ihre gesamte Körpersprache veränderte sich – ihre Schultern entspannten sich, sie saß aufrechter. Es war, als ob ihr Gehirn endlich begriff, dass die inneren Bilder und Gefühle, die sie gefangen hielten, veränderbar waren.

Dann ging ich einen Schritt weiter. Ich fragte sie: „Wenn du dir das Leben vorstellst, das du wirklich willst, welche Farben siehst du dann? Welche Töne hörst du? Stell dir dieses Leben lebendig und echt vor – was siehst du?“ Frau G. zögerte, aber dann begann sie zu beschreiben, wie sie sich in einem ruhigen, lichtdurchfluteten Haus sah, umgeben von ihren Kindern, frei von Angst und frei von diesen dunklen Schatten.

„Das ist der Film, den du jetzt in deinem Kopf abspielst. Mach ihn heller, lauter, realer, so real, dass du ihn fast berühren kannst.“ Sie schloss die Augen und lächelte, als ob sie das erste Mal seit langer Zeit wirklich Luft holen konnte.

Am Ende unserer Sitzung schien es, als ob Frau G. einen Weg gefunden hatte, ihre Gedanken neu zu programmieren. Ich sagte ihr, dass sie jetzt Werkzeuge hatte, um mit den Schatten in ihrem Leben umzugehen – und dass diese Schatten nicht real waren, solange sie sie nicht dazu machte.

Frau G. verließ mein Büro nicht als die Frau, die hereingekommen war. Sie ging mit einem neuen Bild im Kopf, einem Bild, das sie selbst gestaltete, und einem Gefühl der Macht, das sie längst verloren geglaubt hatte.


Carl Rogers

Fallbeschreibung: Die Suche nach Selbstannahme

Als Frau G. in mein Büro trat, spürte ich sofort die Last, die sie mit sich trug. Da war eine tiefe Traurigkeit in ihrem Blick und eine Vorsicht in ihrer Haltung, als ob sie sich nur schwer auf diese Begegnung einlassen konnte. Sie setzte sich zögerlich und warf mir einen unsicheren Blick zu. Ich wusste, dass mein erster Schritt darin bestehen würde, ihr einen Raum zu bieten, in dem sie sich sicher und wertgeschätzt fühlen konnte – ganz gleich, was sie zu erzählen hatte.

Frau G. begann langsam zu sprechen. Sie erzählte von ihrer Ehe, die seit über zwanzig Jahren andauerte und die mehr einer Verpflichtung als einer echten Verbindung glich. In ihren Worten lag ein Hauch von Resignation, als ob sie sich selbst nicht zutraute, ein Leben außerhalb dieser Ehe zu finden. Es war eine Bindung, die von gesellschaftlichen Normen und familiären Erwartungen geprägt war – eine Rolle, die sie erfüllte, ohne je ganz in ihr aufzugehen.

„Ich habe irgendwann einfach das Gefühl verloren, wer ich wirklich bin,“ sagte sie mit einem schwachen Lächeln. Dieser Satz schien aus der Tiefe ihrer Seele zu kommen. Es war, als hätte sie diese Worte schon oft gedacht, aber kaum ausgesprochen. Sie sprach weiter über das Gefühl, dass sie in ihrem Leben nie wirklich sie selbst sein durfte – dass sie immer darauf bedacht war, den Erwartungen anderer gerecht zu werden.

Doch kürzlich war ein anderer Mann in ihr Leben getreten. Dieser Mann hatte etwas in ihr berührt, das lange verborgen war – ein Funken von Freiheit und Freude, der sie selbst überrascht hatte. Doch was zunächst wie eine Befreiung wirkte, entpuppte sich bald als noch einengendere Beziehung. Der neue Mann wurde besitzergreifend und kontrollierend, rief sie unentwegt an, bedrohte sie, und verlangte von ihr eine Loyalität, die sie nicht geben konnte.

Frau G. beschrieb das Gefühl, in einem Netz gefangen zu sein, aus dem sie sich nicht zu befreien wusste. Sie fühlte sich zwischen zwei Männern hin- und hergerissen, die beide ihre eigenen Erwartungen und Ansprüche an sie stellten. Gleichzeitig trug sie die Last ihrer Vergangenheit mit sich – eine Kindheit, die von Härte und Entbehrungen geprägt war, und die sie gelehrt hatte, sich selbst zurückzustellen, um Konflikte zu vermeiden.

Als sie sprach, versuchte ich ihr mein vollstes Verständnis und meine bedingungslose Akzeptanz zu zeigen. Ich wusste, dass es für Frau G. essenziell war, zu fühlen, dass sie hier nicht verurteilt wurde – dass sie hier einfach sie selbst sein konnte. Ich wollte, dass sie spürte, dass ihre Gedanken und Gefühle, so schmerzhaft und chaotisch sie auch sein mochten, in diesem Raum willkommen waren.

In unserer weiteren Arbeit versuchte ich, ihr zu helfen, sich selbst mit all diesen widersprüchlichen Gefühlen anzunehmen. Es war deutlich, dass Frau G. sich selbst wenig Wert zugestand und die Meinung anderer über ihre eigene stellte. Sie sprach oft von „Pflichten“ und „Schuld“, als ob ihr Leben eine endlose Liste von Verpflichtungen und Erwartungen sei, die sie zu erfüllen hatte. Es war, als hätte sie sich selbst nie die Erlaubnis gegeben, authentisch zu sein, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen.

Ich lud sie dazu ein, sich selbst einmal mit den Augen eines wohlwollenden Beobachters zu sehen, so wie ich sie sah: eine Frau, die mit großem Mut und viel Geduld in einer schwierigen Lage stand, die versuchte, trotz ihrer inneren und äußeren Kämpfe einen Weg zu finden, der ihrem Wesen entsprach. Ich fragte sie, wie es wäre, wenn sie sich selbst ein wenig der Güte und des Mitgefühls entgegenbringen könnte, die sie anderen gegenüber so selbstverständlich an den Tag legte.

Langsam begann sie, kleine Veränderungen in ihrer Sichtweise zuzulassen. In einer Sitzung sagte sie plötzlich: „Vielleicht… vielleicht habe ich ein Recht darauf, für mich selbst einzustehen.“ Es war, als wäre dieser Satz ein zaghafter erster Schritt in eine Richtung, die sie noch nicht ganz verstand, aber die ihr ein Gefühl von Freiheit gab, das sie vorher nie gekannt hatte.

In den folgenden Gesprächen arbeitete sie daran, ihre eigenen Bedürfnisse zu benennen und die Menschen in ihrem Leben, die sie einengten, mit einer klareren Perspektive zu betrachten. Wir sprachen viel über Selbstakzeptanz und darüber, dass sie sich nicht für die Erwartungen anderer verantwortlich fühlen musste. Frau G. lernte, dass sie es wert war, ein Leben zu führen, das ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen entsprach – dass sie nicht länger den Vorstellungen anderer folgen musste, um sich wertvoll zu fühlen.

Unser gemeinsamer Weg war einer der behutsamen Entdeckung und der schrittweisen Annäherung an das, was Frau G. wirklich wollte. Es war mir wichtig, dass sie spürte, dass die Antworten in ihr selbst lagen und dass sie nur lernen musste, diesen Antworten zu vertrauen. Mit der Zeit begann sie, die Kontrolle über ihr Leben wiederzuerlangen, und ich konnte sehen, wie sich in ihr ein leises, aber wachsendes Gefühl von Selbstvertrauen und Frieden ausbreitete.

In den letzten Sitzungen lächelte Frau G. öfter und sprach mit einer Offenheit, die sie zu Beginn unserer Begegnung noch nicht gezeigt hatte. Es war, als hätte sie gelernt, die Frau zu akzeptieren, die sie war, und als ob sie sich selbst endlich erlaubte, aus ihrem Leben die Sackgasse zu machen, die sie oft beschrieb. Ich hatte das Gefühl, dass sie auf dem Weg war, zu erkennen, dass sie den Frieden, den sie so lange gesucht hatte, letztendlich in sich selbst finden konnte.


Irvine Yalom

Fallbeschreibung: Die Frau, die sich nicht befreien konnte

Frau G. kam eines Nachmittags in mein Büro, und schon in den ersten Momenten spürte ich die Schwere, die sie mitbrachte – eine Last, die sich tief in ihre Schultern und ihren Blick eingegraben hatte. Sie war Mitte vierzig, mit einem Gesicht, das zugleich Stärke und Erschöpfung ausdrückte. Wir setzten uns, und sie wirkte einen Moment lang verloren, als ob sie mit einem Thema kämpfte, das sich nur schwer in Worte fassen ließ.

„Ich weiß nicht, warum ich hier bin,“ begann sie leise. „Es fühlt sich an, als hätte ich mich in meinem eigenen Leben verirrt.“ Sie sprach von einer Ehe, die seit mehr als zwanzig Jahren bestand und in der sie jedoch nie das Gefühl hatte, wirklich geliebt zu werden. Stattdessen beschrieb sie eine Beziehung voller Distanz und Kontrolle. Ihr Mann – kühl, fordernd und pflichtbewusst – hielt die äußeren Strukturen ihrer Familie zusammen, aber die innere Leere in ihrem Leben wuchs mit jedem Jahr.

Dann kam sie zu einem Thema, das in ihrem Gesicht eine Mischung aus Schuld und Schmerz hervorrief: Vor einigen Monaten hatte sie eine Affäre begonnen. Der andere Mann – nennen wir ihn A. – war eine kurzlebige Leidenschaft, ein Aufbruch in eine Freiheit, die sie nie gekannt hatte. Doch was als eine Flucht aus ihrer Ehe begann, verwandelte sich bald in ein neues Gefängnis. A. erwies sich als besitzergreifend, eifersüchtig und schließlich als bedrohlich. Als sie die Affäre beenden wollte, begann er, sie zu terrorisieren, und drohte sogar damit, intime Details öffentlich zu machen, falls sie ihm den Rücken kehrte.

Während sie sprach, bemerkte ich die ambivalente Beziehung, die sie zu diesen beiden Männern aufgebaut hatte. Sie schien zwischen ihrer Ehe und dieser zerstörerischen Affäre gefangen zu sein, als ob sie in einem endlosen Muster der Abhängigkeit und Selbstaufgabe feststeckte. Ich fragte mich, was sie in dieser Dynamik hielt und warum sie sich nicht befreien konnte.

„Haben Sie jemals das Gefühl gehabt, wirklich Sie selbst zu sein?“ fragte ich schließlich, als sie eine Pause machte und ihren Blick auf den Boden senkte. Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete: „Ich weiß nicht. Ich denke, ich war immer das, was andere von mir wollten.“

Dieses Gefühl, nicht wirklich existieren zu dürfen, hatte sich tief in ihr verankert. Während unserer Sitzungen kamen wir bald zu ihrer Kindheit – einer Zeit, die von Verlust und Enttäuschung geprägt war. Sie erzählte von einer Mutter, die sie als kleines Kind verlassen hatte, und einem Vater, der sie streng und ohne Wärme aufzog. Früh hatte sie gelernt, sich anzupassen, die Erwartungen zu erfüllen und wenig zu verlangen. Diese Prägungen schienen sich in ihrer Ehe fortgesetzt zu haben: eine Partnerschaft, die von Verpflichtungen und Erwartungen bestimmt wurde, aber ohne jene Wärme, die sie sich insgeheim wünschte.

Ich sah in ihr die Sehnsucht nach etwas Echtem, nach einem Leben, das sie nie gekannt hatte, und eine fast kindliche Hoffnung, dass irgendjemand – sei es ihr Mann, sei es A. – ihr diese ersehnte Nähe geben könnte. Aber gleichzeitig hatte sie nie die Fähigkeit entwickelt, ihre eigenen Bedürfnisse zu benennen und zu verteidigen. Stattdessen schien sie ein Leben lang die Erwartungen anderer zu erfüllen, und jetzt war sie in einer Spirale aus Schuld und Abhängigkeit gefangen.

Einmal fragte ich sie: „Was glauben Sie, würde eine Frau wie Sie tun, wenn sie nur für sich selbst leben könnte?“ Es war, als hätte ich ihr eine Welt eröffnet, die sie nicht für möglich gehalten hatte. Ihre Augen leuchteten kurz auf, dann verfinsterten sie sich wieder. „Das weiß ich nicht,“ sagte sie, „ich habe nie gelernt, für mich selbst zu leben.“

Im Verlauf unserer Gespräche versuchte ich, diese Vorstellung zu nähren – eine Vision, in der sie sich selbst die Erlaubnis gab, aus den Fesseln ihrer Vergangenheit auszubrechen. Ich wollte sie nicht nur dazu ermutigen, diese beiden Männer mit neuen Augen zu sehen, sondern auch sich selbst. Sie begann, die toxischen Muster in ihrer Beziehung zu A. zu durchschauen und erkannte, dass seine Abhängigkeit von ihr nichts mit Liebe zu tun hatte, sondern mit einem inneren Mangel an Selbstwert. Sie sah langsam, dass ihre Verstrickung in seine Manipulationen eine Fortsetzung jener alten Wunden war, die sie so lange mit sich getragen hatte.

Aber die eigentliche Arbeit bestand darin, sie dazu zu bringen, sich selbst als jemanden zu betrachten, der liebenswert und wertvoll ist – nicht aufgrund dessen, was sie für andere tut, sondern allein aufgrund ihrer Existenz. Dies war für Frau G. ein radikaler Gedanke, fast ein Schock. Sie begann, die Grenzen zu erkennen, die sie in ihren Beziehungen nicht gezogen hatte, und die Kontrolle, die sie damit anderen über ihr Leben gegeben hatte.

Unsere Sitzungen waren oft intensiv und konfrontativ. Es gab Momente, in denen sie wütend auf mich wurde, weil ich sie aufforderte, in sich selbst zu sehen und sich von den Ketten dieser toxischen Verbindungen zu befreien. Aber ich wusste, dass dieser Widerstand ein notwendiger Teil ihres Weges war. Ich konnte nicht einfach auf eine einfache Heilung hinarbeiten; es ging vielmehr darum, sie dazu zu bringen, den Wert ihrer eigenen Existenz zu spüren und sich von den Strukturen zu lösen, die sie in dieser Leidensspirale hielten.

Am Ende des Prozesses konnte ich sehen, dass Frau G. zwar noch immer mit ihrem Schmerz kämpfte, aber nun bereit war, sich diesem Schmerz zu stellen, ohne in alte Muster zurückzufallen. Sie begann, in kleinen Schritten Veränderungen vorzunehmen – eine Distanzierung von A., klare Gespräche mit ihrem Ehemann, und vor allem: ein erstes, vorsichtiges Kennenlernen ihrer eigenen inneren Bedürfnisse.

Die Reise von Frau G. war noch nicht beendet, als wir unsere letzten Sitzungen hatten, aber sie war auf einem Weg, der ihr endlich das Gefühl gab, dass ihr Leben ihr eigenes war. Vielleicht war dies am Ende das Wichtigste: die Freiheit zu erfahren, dass ihre Existenz weder durch die Erwartungen anderer noch durch ihre Vergangenheit bestimmt war, sondern durch die Entscheidungen, die sie von nun an selbst traf.


Virginia Satir

Fallbeschreibung: Die Frau, die sich selbst verlor

Frau G. kam an einem kalten Herbstnachmittag in meine Praxis, mit gesenktem Kopf und einem leisen, unsicheren Lächeln, das den Schmerz, den sie in sich trug, nicht verbergen konnte. Sie war eine Frau Mitte 40, die, wie sie sagte, das Gefühl hatte, „in ihrem eigenen Leben gefangen zu sein“. Ich konnte spüren, wie schwer es für sie war, diesen ersten Schritt zu gehen und ihre Geschichte zu teilen. Doch ich wusste auch, dass in dieser Frau eine stille Stärke verborgen war – eine Stärke, die nur darauf wartete, wiederentdeckt zu werden.

Sie begann, mir von ihrer Ehe zu erzählen, die seit über zwanzig Jahren bestand. Frau G. sprach von einer Beziehung, die fest in traditionellen Werten und Erwartungen verankert war, von einem Mann, der Kontrolle und Sicherheit suchte, und von einer Frau, die ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten ihrer Familie und ihrer Rolle als Ehefrau zurückstellte. Mit jeder ihrer Beschreibungen hörte ich die Stimme einer Frau, die nicht wirklich zu sich selbst sprach – als ob sie über das Leben einer anderen Person berichtete, eine Rolle, die sie spielte, ohne je zu spüren, dass sie wirklich darin lebte.

In dieser Ehe, wie sie erzählte, hatte sie immer versucht, alles „richtig“ zu machen, eine perfekte Partnerin und Mutter zu sein. Doch tief in sich spürte sie eine Leere, die mit den Jahren nur gewachsen war. Sie begann, in unserem Gespräch von einem anderen Mann zu berichten, der vor kurzem in ihr Leben getreten war und in ihr eine lange verlorene Leidenschaft entfacht hatte. Frau G. nannte es „einen Funken Freiheit“ – etwas, das sie für sich selbst gesucht hatte, wenn auch nur für einen Moment.

Doch dieser Funke entpuppte sich schnell als eine Flamme, die sie zu verbrennen drohte. Der andere Mann wurde besitzergreifend, forderte mehr von ihr, wollte, dass sie ihre Familie verlässt und sich ihm ganz hingibt. Sie erzählte, wie sich das Abenteuer, das sie sich erträumt hatte, in eine neue Form der Abhängigkeit und Angst verwandelte. Statt ihr Freiheit zu geben, brachte es sie nur noch tiefer in eine Rolle, die sie nicht zu spielen bereit war.

Während sie sprach, konnte ich sehen, wie tief diese Verstrickung sie in ihren alten Schmerz zurückversetzte. Es war, als ob sie ihr ganzes Leben lang immer wieder dieselbe Lektion lernte – die Lektion, dass ihre eigenen Bedürfnisse weniger wichtig waren, dass sie sich verbiegen und anpassen musste, um von anderen akzeptiert zu werden. Sie hatte sich selbst verloren, indem sie sich für andere aufgab.

Ich versuchte, Frau G. dabei zu helfen, die verschiedenen Teile ihrer Selbst zu entdecken, die unter dieser Last verborgen lagen. Ich fragte sie: „Was würde diese Frau, die du wirklich bist, am liebsten tun? Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass es in Ordnung ist, für dich selbst einzustehen?“ Diese Frage schien sie zu überraschen. Sie sah mich an, als hätte sie eine Sprache gehört, die sie lange vergessen hatte.

„Ich weiß nicht,“ sagte sie leise. „Ich glaube, ich habe nie gelernt, für mich selbst zu sprechen.“

Wir begannen, mit den verschiedenen Ebenen ihrer Gefühle zu arbeiten, die Schichten der Schuld, der Angst und des Bedürfnisses nach Bestätigung, die sie so tief in sich verankert hatte. Ich nutzte Techniken, die ihr halfen, in sich hineinzuhören und diese Stimmen in ihrem Inneren zu identifizieren: die Stimme des kleinen Mädchens, das Angst vor Ablehnung hatte, die Stimme der Mutter, die ihr beigebracht hatte, dass es ihre Pflicht sei, sich um andere zu kümmern, und die Stimme der Frau, die sie sein wollte, aber nie zu leben wagte.

Ich schlug ihr vor, sich diese inneren Teile vorzustellen, sie sichtbar und greifbar zu machen. „Stell dir vor, du sitzt in einem Kreis mit diesen verschiedenen Seiten von dir,“ sagte ich. „Schau jeder von ihnen in die Augen und frage, was sie dir sagen möchte.“

Langsam begann Frau G., mit diesen Teilen zu arbeiten. Sie beschrieb, wie das kleine Mädchen in ihr sich wünschte, einfach akzeptiert und geliebt zu werden, ohne etwas dafür tun zu müssen. Die Mutter in ihr drückte die Verantwortung und den Schmerz aus, die Familie zusammenzuhalten und dabei selbst auf der Strecke zu bleiben. Und die Frau, die sie sein wollte, begann, eine leise, aber deutliche Stimme zu entwickeln, die nach Freiheit und Authentizität rief.

Diese Arbeit half ihr, Klarheit zu gewinnen. Frau G. begann, sich von den Rollen und Erwartungen zu lösen, die ihr Leben so lange bestimmt hatten. Sie verstand, dass die Lösung nicht darin lag, zwischen den Männern in ihrem Leben zu wählen, sondern eine Entscheidung für sich selbst zu treffen.

Im Verlauf unserer Sitzungen kam sie zu der Erkenntnis, dass sie niemandem ihre Erfüllung schuldet – nicht ihrem Mann, nicht dem anderen Mann und nicht einmal den gesellschaftlichen Erwartungen, die ihr über die Jahre auferlegt worden waren. Sie begann, sich selbst zu sehen, zu fühlen, zu akzeptieren. Sie erkannte, dass ihre wahre Aufgabe darin bestand, ihren eigenen Weg zu finden und die Frau zu werden, die sie immer schon war, aber nie zu sein wagte.

Am Ende des Prozesses war Frau G. noch immer am Anfang ihrer Reise. Aber sie hatte gelernt, dass sie die Kraft in sich trägt, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und sich selbst zu lieben – ohne die Angst, dass sie dadurch jemand anderen enttäuschen könnte. Sie begann, in kleinen Schritten ihre Freiheit zu erobern, und ich konnte sehen, dass das Lächeln auf ihrem Gesicht ein bisschen sicherer, ein bisschen echter geworden war.

In meinen Augen war dies der wichtigste Schritt: Frau G. begann, in sich selbst die Ressourcen zu finden, die sie all die Jahre im Außen gesucht hatte. Sie war bereit, ihr Leben zu gestalten, nicht als die Frau, die andere von ihr erwarteten, sondern als die Frau, die sie selbst sein wollte.


Frank Farrelly

Fallbeschreibung: Die Frau, die „alle“ glücklich machen wollte

Frau G., eine Frau Mitte 40, kam in mein Büro, sah mich mit einem festen, leicht skeptischen Blick an, setzte sich und begann sofort: „Ich weiß nicht, was ich hier überhaupt tue.“ Ah, wunderbar – die typische „Ich-muss-hier-sein-aber-ich-will-eigentlich-gar-nicht“-Haltung. Ich sah sie an, lächelte ein bisschen zu breit und sagte: „Na, das ist doch mal ein vielversprechender Anfang! Was kann ich denn für dich tun, obwohl du es vermutlich sowieso ablehnen wirst?“

Sie schaute mich einen Moment an, dann schnaubte sie ein wenig und erzählte ihre Geschichte. Frau G. hatte das Gefühl, dass sie „stecken geblieben“ sei. Seit über 20 Jahren in einer Ehe, die, wie sie sagte, „halt so vor sich hinläuft“. Ihr Mann, ein eiskalter Pflichterfüller, war für sie „sicher und zuverlässig“ – was in meiner Erfahrung oft heißt: so aufregend wie ein Topf kalter Haferschleim. Die beiden führten eine Ehe, die nach außen hin das perfekte Bild abgab, aber innen war da nur Leere. Doch Frau G. beschrieb es so, als ob sie das einfach hinnehmen müsste – schließlich hatte sie ja eine „Verantwortung“.

Und dann kam dieser andere Typ ins Spiel. Der neue Mann war zunächst der Funke, den sie vermisst hatte. Klar, das kann ja nicht lange gutgehen. Er wollte sie ganz für sich, wurde eifersüchtig, forderte und drohte, als sie versuchte, sich aus dieser Affäre zu befreien. So saß sie nun fest – gefangen zwischen einem Mann, der sie kalt hält, und einem, der sie in die Enge treibt. Ihr Leben fühlte sich an wie ein schlechter Witz, in dem sie immer die Pointe war.

Also fragte ich sie geradeheraus: „Na, wie lange willst du denn noch die Weltmeisterin im Selbstverzicht spielen? Das Goldmedaillen-Glück ist doch sicher riesig!“ Sie starrte mich an, überrascht und leicht amüsiert – genau die Reaktion, die ich erwartete. Und dann passierte es: Sie begann zu lachen. Ein echtes, freies Lachen, das aus ihr herausbrach, als hätte sie diesen Witz zum ersten Mal verstanden.

„Weißt du,“ sagte ich, „du solltest dir wirklich ein Denkmal setzen lassen, direkt im Stadtzentrum. Darunter könnte stehen: Hier ruht Frau G., die Frau, die alle glücklich machen wollte – und dabei fast selbst verschwand. Was glaubst du, würde die Stadtverwaltung wohl zu diesem Vorschlag sagen?“

„So schlimm ist es doch auch wieder nicht,“ wehrte sie ab. Ah, das berühmte „Verharmlosen“, ein Klassiker! Ich lehnte mich zurück und ließ das alles ein bisschen wirken. „Ach, Frau G., für jemanden, der hier mit heruntergezogenen Mundwinkeln und der Schwere der Welt im Blick sitzt, bist du eine fantastische Schauspielerin. Wirklich. Vielleicht solltest du einen Oscar für die beste Selbstaufgabe in einem Drama bekommen.“

Nach einer Weile brach der Widerstand ein wenig, und sie erzählte weiter. Ihre Eltern hatten ihr früh beigebracht, dass man sich anstrengen müsse, anderen gerecht zu werden. Sie war immer die perfekte Tochter gewesen, immer die, die tat, was erwartet wurde. Kein Wunder, dass sie jetzt in einer Ehe feststeckte, die nur aus Erwartungen und Routine bestand, und dass sie sich in die nächste Katastrophe gestürzt hatte, in der sie wieder jemandem etwas schuldig war.

„Ach komm schon, Frau G., du bist schlau,“ sagte ich, „du musst doch wissen, dass du gerade das Lebenswerk deiner Eltern fortführst. Selbstaufopferung Deluxe. Wenn du so weitermachst, wirst du bald der Guru aller Opfer der Welt.“ Sie lachte wieder, etwas weniger defensiv, und schien langsam zu erkennen, dass diese Rolle, die sie da spielte, nichts Edles hatte – sie war einfach nur bequem und schmerzhaft zugleich.

„Also,“ sagte ich dann, „was glaubst du? Wer wärst du, wenn du mal für dich selbst sprechen würdest? Nein, nicht so eine kleine, piepsige Stimme, sondern so richtig. Eine Frau, die sagt: ‚Ich bin das, was ich bin, und wer es nicht aushält, kann gehen.‘“

Das saß. Sie dachte eine Weile nach und sagte schließlich: „Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht, wer diese Frau ist.“

„Na, dann wird’s doch mal Zeit, sie kennenzulernen, oder? Eine Art Blind Date mit dir selbst, nur ohne die peinlichen Momente. Vielleicht magst du diese Frau, die du findest, vielleicht nicht – aber ich garantiere dir, dass sie dich mehr zum Lachen bringen wird als all das Chaos, das du dir bisher eingehandelt hast.“

So gingen wir weiter. In den kommenden Sitzungen arbeiteten wir daran, diese „neue Frau“ freizulegen – die Frau, die nicht mehr die Erwartungen der Eltern, des Mannes oder des Liebhabers erfüllt, sondern nur noch die eigenen. Wir brachen Muster auf, stellten Regeln infrage, und ich stellte immer wieder schmerzhaft direkte Fragen, die sie oft in Verlegenheit brachten, aber auch zum Nachdenken zwangen.

Am Ende war Frau G. nicht die perfekte Befreite, die ihre Ketten endgültig abwarf. Aber sie begann, die Absurdität ihrer Situation zu erkennen, und sie lernte, mit Humor und einer Prise Frechheit auf das zu blicken, was sie ihr Leben lang als „Pflicht“ betrachtet hatte. Sie hatte verstanden, dass das Leben keine Tragödie ist, in der sie die Märtyrerin spielen musste, sondern eine Komödie, in der sie ruhig die Hauptrolle übernehmen durfte.


Fritz Pearls

Fallbeschreibung: Die Frau, die ihre Stimme nicht fand

Frau G. trat in mein Büro, als würde sie einen Raum betreten, den sie eigentlich nicht betreten wollte. Ihre Bewegungen waren zögerlich, kontrolliert, und sie sah sich kaum um. Eine Frau, Mitte 40, die im Geiste schon hundert Mal zurückgetreten war, bevor sie überhaupt hier erschien. Ich beobachtete, wie sie sich setzte, ihren Blick zu Boden gesenkt hielt und dabei ihre Hände ineinander verkrampfte – ihre Energie nach innen gezogen, wie ein Tier, das sich auf ein stilles Überleben vorbereitet.

„Nun,“ sagte ich, ohne ihr zu viel Raum zum Verstecken zu geben, „du hast dich also entschieden, hier zu sein.“ Eine Feststellung, nicht mehr und nicht weniger. Sie hob den Kopf, schaute mich an, und in diesem Blick lag etwas Erstauntes, fast wie bei einem Kind, das zum ersten Mal wahrgenommen wird.

Sie begann zu erzählen, mit leiser, zurückhaltender Stimme, wie ihre Ehe seit über zwanzig Jahren das Zentrum ihres Lebens war. Ihr Mann war ein pflichtbewusster Mensch, genau wie sie, und alles lief reibungslos, solange sie ihren Platz in dieser Struktur wahrte. Doch da war eine Leere, eine taube Stelle in ihrem Leben, die sie weder benennen noch einfach ignorieren konnte.

Vor Kurzem war ein anderer Mann in ihr Leben getreten – ein Funke, sagte sie, der etwas in ihr entzündet hatte, von dem sie nicht wusste, dass es noch existierte. Aber anstatt Erfüllung zu finden, geriet sie in eine neue Enge, in die Fänge eines Besitzanspruchs, der noch enger war als alles, was sie aus ihrer Ehe kannte. Und jetzt, so beschrieb sie es, sei sie „gefangen“ zwischen einem kalten Pflichtgefühl und einer neuen, bedrückenden Leidenschaft.

Ich hörte zu, nahm alles auf und wartete. „Nun, Frau G., wie lange willst du hier noch so in der Zuschauerrolle sitzen?“ fragte ich. „Lass doch mal alles Theater weg und sei einfach hier, in deinem Körper, in deinem Atem, in dem, was jetzt in dir auftaucht.“

Sie hielt inne, überrascht, fast ein bisschen erschrocken, als hätte ich sie gerade aus einem Traum geweckt. Ich ließ den Moment wirken und beobachtete sie dabei, wie sie zu ihrem Atem fand, wie sie plötzlich die Stille in sich wahrnahm. „Also,“ sagte ich, „wer bist du wirklich, wenn all die Rollen wegfallen? Wenn du nicht die Ehefrau, nicht die Geliebte und nicht die perfekte Tochter bist?“

Frau G. antwortete nicht sofort. Ihre Schultern sanken leicht herab, als wäre ein Stück Last von ihr abgefallen, aber da war auch Angst in ihrem Blick – die Angst, nackt und ohne Schutz dazustehen. „Ich weiß nicht, wer ich bin,“ flüsterte sie schließlich.

„Gut!“ sagte ich und lächelte. „Dann sind wir schon mal einen Schritt weiter. Das Unwissen ist der erste Schritt zur Freiheit. Also lassen wir das ‚Wissen‘ und schauen einfach hin.“ Ich forderte sie auf, die Augen zu schließen und in sich hineinzuspüren, ohne zu denken, ohne zu bewerten – einfach zu spüren, was da war.

Nach ein paar Momenten begann sie, unruhig auf ihrem Stuhl zu wippen. „Da ist so ein Druck in meiner Brust,“ sagte sie schließlich, die Augen immer noch geschlossen. „Es fühlt sich an, als würde etwas in mir gegen eine Wand drücken.“

„Ja, genau!“ rief ich, „Lass es drücken! Spür die Wand und spür, wer oder was da dahinter steckt. Hör auf, den Druck wegzuschieben – lass ihn zu, er will dir etwas sagen.“ Ich ließ sie mit diesem Druck sitzen, ließ sie den Widerstand gegen ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse spüren, die sie so lange zurückgehalten hatte. Langsam öffnete sie die Augen, und in ihrem Blick lag etwas Wildes, etwas Ursprüngliches, das ich bisher nicht gesehen hatte.

„Was würdest du jetzt tun, wenn es niemanden gäbe, der zuschaut, niemanden, der urteilt?“ fragte ich sie. „Stell dir vor, es gibt keine Regeln, keine Erwartungen. Was will dieser Druck, dieser Teil von dir, wirklich?“

Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, und ich konnte sehen, wie sich ihre Atmung vertiefte, als würde sie in einem inneren Kampf stehen. „Ich will schreien,“ sagte sie leise, fast, als wäre es eine Schande, das auszusprechen. „Ich will schreien, und ich will… weglaufen.“

„Dann schrei!“ sagte ich und klatschte in die Hände. „Schrei hier, jetzt, und spür, was das mit dir macht!“ Sie starrte mich an, als hätte ich ihr eine absurde, unmögliche Aufgabe gestellt, aber ich hielt ihrem Blick stand, wartete, bis sie verstand, dass hier niemand anders für sie schreien konnte.

Langsam, zaghaft, entwich ihr ein Laut, zunächst kaum hörbar, dann etwas lauter, bis sie schließlich ihren Kopf in die Hände legte und sich ein tiefer, verzweifelter Schrei aus ihr löste. In diesem Schrei lag ihre ganze angestaute Wut, ihre jahrelange Selbstverleugnung, ihre Angst davor, sie selbst zu sein. Es war ein Moment der Befreiung – roh, ungeschönt, echt.

„Da bist du,“ sagte ich sanft, nachdem der Schrei verklungen war. „Da bist du endlich, Frau G. – nicht die perfekte Frau, nicht die wohlerzogene Tochter, sondern einfach du. Wie fühlt sich das an?“

Sie brauchte einen Moment, um Worte zu finden, und als sie sprach, klang ihre Stimme anders, stärker, sicherer. „Ich fühle mich… lebendig. Aber auch verwirrt. Es ist, als ob ich endlich wach wäre, aber noch nicht weiß, was ich tun soll.“

Ich nickte. „Wunderbar! Bleib bei dieser Verwirrung. Sei neugierig. Lass diesen Teil von dir weiter schreien, weiter rebellieren, bis du die Antworten nicht mehr in anderen suchst, sondern in dir selbst. Da gibt es nichts zu lösen – nur dich zu finden, Stück für Stück, Laut für Laut.“

Frau G. verließ mein Büro an diesem Tag nicht mit fertigen Antworten oder einer „Lösung“ für ihre Situation. Aber sie hatte einen ersten, echten Kontakt zu sich selbst erfahren. Das Wissen, dass es einen Teil von ihr gibt, der lebendig ist und gesehen werden will, war ein Samen, der in den kommenden Sitzungen weiter wachsen konnte. Sie hatte verstanden, dass sie nicht mehr still sein musste – dass ihre Stimme, ihre Wut, ihre Sehnsüchte ihr Recht waren, und dass sie in sich selbst den Mut finden konnte, diesen Weg zu gehen, ohne sich wieder an die Erwartungen anderer zu verlieren.


PaulcWatzlawick

Fallbeschreibung: Die Frau, die in einem Paradox lebte

Frau G., Anfang 40, betrat mein Büro mit einem Blick, der etwas leicht Verzweifeltes verriet. Sie setzte sich, und als sie begann zu sprechen, fiel mir sofort auf, wie sehr sie in einem Widerspruch gefangen war, den sie selbst kaum bemerkte. Ihre ersten Worte waren: „Ich weiß nicht, warum alles so kompliziert geworden ist.“ Ein klassischer Einstieg, dachte ich – eine Person, die in einem Kommunikationsnetz gefangen ist und keinen Ausweg sieht.

Frau G. beschrieb ihre Ehe, die seit über zwanzig Jahren andauerte, als „stabil, sicher, aber leer“. Ihr Mann war zuverlässig, ein Mann der Prinzipien und Regeln, der Stabilität brachte – und damit auch, wie ich bald feststellte, eine ganze Reihe von Einschränkungen, die Frau G. zunehmend als Käfig empfand. Sie fühlte sich verpflichtet, dieser Ehe gerecht zu werden, und doch auch innerlich erstickt. „Ich weiß, dass ich ihm viel verdanke,“ sagte sie, „aber ich habe das Gefühl, ich bin darin verloren gegangen.“ Ihre Worte klangen wie eine Gefangene, die gleichzeitig ihren Kerkerwärter verteidigt.

Nun hatte sie vor einigen Monaten einen anderen Mann kennengelernt. Der Neue, wie sie ihn nannte, hatte eine ganz andere Art: impulsiv, fordernd, frei von den Strukturen, die ihre Ehe ausmachten. Anstatt jedoch die ersehnte Freiheit zu finden, fand sich Frau G. in einer neuen Art der Gefangenschaft wieder. Der neue Mann forderte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, bedrängte sie, rief sie ständig an und wollte, dass sie alles für ihn aufgab.

Hier saß sie nun, gefangen zwischen einem Ehemann, dessen Kälte ihr das Leben schwer machte, und einem Liebhaber, dessen Hitze sie erstickte. Sie wollte sich aus diesem paradoxen Geflecht befreien, doch jede mögliche Lösung schien sie nur tiefer in das Problem hineinzuziehen.

Ich fragte sie: „Wenn du eine Entscheidung treffen würdest – entweder bei deinem Mann zu bleiben oder mit dem neuen Mann zu gehen –, was würdest du verlieren?“ Frau G. hielt inne und antwortete schließlich: „Bei meinem Mann verliere ich meine Freiheit, bei dem anderen verliere ich meine Sicherheit.“ So, da war es. Sie war auf der Suche nach einer Lösung, die beides vereinen würde: Freiheit und Sicherheit. Ein klassisches Beispiel für eine „double bind“-Situation – ein Dilemma, in dem jede Option eine wichtige Grundbedürfnis von ihr bedrohte.

Ich fragte sie weiter: „Und was wäre, wenn du einfach beides bleiben lässt? Wenn du weder gehst noch bleibst?“ Diese Idee schien ihr vollkommen absurd. „Das kann ich doch nicht machen,“ sagte sie, „dann verliere ich ja alles!“ Ah, dachte ich, hier sind wir bei einem Grundprinzip: der Überzeugung, dass eine Entscheidung unvermeidlich ist, dass sie „etwas tun“ muss, um das Problem zu lösen.

„Also,“ sagte ich, „du bist in der Position der Fliege, die immer und immer wieder gegen das Fenster fliegt, weil sie überzeugt ist, dass das der einzige Weg nach draußen ist.“ Ich bemerkte, wie sie die Stirn runzelte, als ob sie versuchte, meine Metapher zu entschlüsseln.

„Wäre es vielleicht möglich,“ setzte ich fort, „dass das Problem darin liegt, dass du versuchst, das Fenster zu durchbrechen, anstatt zu erkennen, dass der Ausgang möglicherweise an einem ganz anderen Ort ist? Vielleicht erfordert dein Problem eine Lösung, die du dir bisher noch nicht erlaubt hast zu sehen.“

Diese Idee schien sie zu verunsichern. Sie fragte: „Aber was könnte das sein?“ Ich lächelte und antwortete: „Vielleicht bedeutet es, dass du aufhörst, einen Ausweg zu suchen, und stattdessen darauf achtest, wie du selbst das Problem schaffst.“

Im Laufe unserer Sitzungen kehrten wir immer wieder zu dieser Idee zurück. Es stellte sich heraus, dass Frau G. durch ihre eigenen Überzeugungen ein komplexes Muster aufrechterhielt. Sie glaubte fest daran, dass sie in einer Rolle bleiben musste – entweder als loyale Ehefrau oder als rebellische Geliebte – und dass diese Rollen nicht miteinander zu vereinbaren waren. Durch diese selbstauferlegte Trennung erschuf sie das Paradox, in dem sie lebte. Ihre Versuche, das Dilemma zu lösen, verstärkten das Problem: Je mehr sie nach einer „Entscheidung“ suchte, desto tiefer geriet sie in den Konflikt.

Ich arbeitete mit ihr daran, ihre starren Überzeugungen über Beziehungen und die Rollen, die sie spielen „musste“, zu hinterfragen. Was, wenn sie die Regeln selbst setzte? Was, wenn sie sich nicht zwischen Freiheit und Sicherheit entscheiden müsste, sondern beides in sich selbst finden könnte? Was, wenn der Widerspruch nur deshalb existierte, weil sie glaubte, dass er existieren musste?

Langsam begann Frau G. zu begreifen, dass sie sich selbst in diesem paradoxen Muster festhielt. Sie erkannte, dass ihre eigenen Erwartungen – die an sich selbst und die an die Menschen in ihrem Leben – das Problem aufrechterhielten. Sie begann, das Bild der treuen Ehefrau und das Bild der leidenschaftlichen Geliebten loszulassen, und entdeckte, dass sie beides und zugleich keines von beiden sein konnte. Die Spannung, die sie so lange gequält hatte, begann zu weichen, als sie merkte, dass die Lösung nicht darin bestand, einen der beiden Männer zu „wählen“, sondern aus dem gesamten Muster auszutreten.

Am Ende unserer Sitzungen war Frau G. noch immer in ihrer Ehe, aber sie lebte darin nun mit einem neuen Bewusstsein. Sie sah, dass ihre Freiheit nicht davon abhing, ob sie ging oder blieb – sie war eine Frage ihrer inneren Haltung. Indem sie den Widerspruch akzeptierte, anstatt ihn zu lösen, fand sie einen Weg, beide Teile in sich selbst zu vereinen.


Otto Kernberg

Fallbeschreibung: Die Frau, die zwischen Idealisierung und Entwertung gefangen war

Frau G., Mitte 40, trat in mein Büro mit einer gewissen Zurückhaltung, die eine Mischung aus Unsicherheit und subtiler Abwehrhaltung vermittelte. Ihre Körpersprache war angespannt, die Arme verschränkt, die Schultern leicht nach vorn geneigt – eine Frau, die sich stets selbst auf Abstand hielt. Ihre Augen waren wachsam, wie die einer Person, die gleichzeitig Nähe sucht und sich davor fürchtet, entdeckt zu werden.

Schon bei ihrem ersten Satz war klar, dass Frau G. in einem tiefen emotionalen Konflikt steckte. Sie sprach von einer „Leere“ und einem „Gefühl des Gefangenseins“ in ihrer Ehe, die seit über zwanzig Jahren andauerte. Sie beschrieb ihren Mann als „sicher und beständig“, doch in ihren Worten lag eine kalte Distanz, fast so, als ob sie über einen unpersönlichen Gegenstand sprach und nicht über ihren Ehepartner. Dies deutete auf eine chronische Affektspaltung hin, wie sie oft bei Menschen mit einer strukturellen Ich-Schwäche auftritt.

Die Ehe selbst schien in erster Linie eine Funktion zu erfüllen: Sie gab Frau G. das Gefühl von Stabilität und Zugehörigkeit. Doch neben dieser Sicherheit spürte sie auch eine unerträgliche emotionale Abgeschottetheit. Es war, als ob diese Ehe ein inneres Vakuum füllte, das sie gleichzeitig immer stärker erstickte. In ihren Worten zeigte sich eine tiefe Unfähigkeit zur Integration widersprüchlicher Gefühle – Liebe und Abhängigkeit auf der einen, Wut und Verachtung auf der anderen Seite.

Die Komplexität ihrer inneren Konflikte wurde umso deutlicher, als sie von einem anderen Mann erzählte, in den sie sich kürzlich „verliebt“ hatte. Sie beschrieb ihn als „lebendig, leidenschaftlich und intensiv“, eine völlige Umkehrung der Eigenschaften, die sie ihrem Ehemann zuschrieb. Doch je mehr sie sich in diese neue Beziehung stürzte, desto stärker nahm eine erschreckende Dynamik Gestalt an: Der Mann wurde zunehmend besitzergreifend, manipulativ, forderte absolute Hingabe und drohte, ihr Leben in einen Skandal zu verwandeln, wenn sie sich ihm entziehen würde.

In der Beschreibung dieser Beziehung fiel auf, wie extrem Frau G. zwischen Idealisierung und Entwertung schwankte. Zunächst hatte sie den neuen Mann als Erlöser gesehen, als jemand, der sie aus ihrer „emotionalen Wüste“ befreite. Doch als seine Forderungen intensiver wurden, begann sie ihn zunehmend als Bedrohung zu erleben, als eine destruktive Kraft, die sie zu zerstören drohte. Diese ambivalente Reaktion auf den neuen Mann deutete auf ein inneres Muster hin, das in der Psychodynamik pathologischer Beziehungsgestaltungen tief verankert war.

Ich vermutete, dass Frau G. unter einer chronischen strukturellen Störung litt, die auf einer tiefgreifenden Unsicherheit in ihrer Ich-Identität beruhte. Ihre starken Idealisierungs- und Entwertungstendenzen zeigten, dass sie in ihren Beziehungen zu Menschen häufig zwischen Extremen schwankte – die Fähigkeit zur Integration ambivalenter Gefühle war stark beeinträchtigt. Dies ließ sich durch ihre Kindheitserfahrungen erklären, die sie in späteren Sitzungen ansatzweise schilderte.

Frau G. wuchs in einer Familie auf, in der emotionale Unterstützung und Verlässlichkeit selten waren. Ihr Vater, eine autoritäre, unnahbare Figur, stellte hohe Erwartungen an sie und vermittelte ihr, dass Zuneigung an Leistung und Anpassung geknüpft sei. Die Mutter, hingegen, war emotional bedürftig und zeigte eine instabile, oft willkürliche Zuwendung, die Frau G. früh zu einem instrumentellen Beziehungsverständnis führte: Nähe bedeutete, etwas leisten oder opfern zu müssen, um geliebt zu werden.

Dieses frühe Beziehungsmuster führte dazu, dass Frau G. in ihrem Erwachsenenleben häufig Beziehungen zu Männern einging, die entweder emotional zurückgezogen oder übermäßig fordernd waren. Sie neigte dazu, ihre Partner entweder als perfekte, rettende Figuren zu idealisieren oder sie schnell zu entwerten, wenn diese ihre Erwartungen nicht erfüllten. Im Kern spiegelte dies einen unbewussten Versuch wider, das ambivalente Verhältnis zu den elterlichen Bezugspersonen zu rekonstruieren und zu „reparieren“.

In unserer therapeutischen Arbeit wurde schnell klar, dass Frau G. Schwierigkeiten hatte, die Widersprüchlichkeit ihrer Gefühle anzunehmen. Ihr Erleben war oft von einer binären Logik geprägt: Menschen waren entweder idealisierte Retter oder bedrohliche Feinde, und es gab wenig Raum für die Akzeptanz von Grautönen oder Ambivalenz. Die Ehe mit ihrem Mann bot ihr Sicherheit, aber die emotionale Distanz führte dazu, dass sie in dieser Beziehung lediglich funktionierte, ohne authentisch präsent zu sein. Der neue Mann hingegen erfüllte vorübergehend ihr Bedürfnis nach leidenschaftlicher Zuwendung, nur um sich schließlich als weiterer „Feind“ zu entpuppen, der sie in eine Abhängigkeit zwang.

Meine therapeutische Arbeit mit Frau G. konzentrierte sich darauf, diese Spaltung zu bearbeiten und ihr zu helfen, die Idealisierung und Entwertung zu erkennen, die ihren Beziehungen eine so extreme Dynamik verlieh. Ich forderte sie heraus, ihre „Entweder-Oder“-Perspektive in Frage zu stellen und zu verstehen, dass Menschen – einschließlich ihrer selbst – widersprüchliche Eigenschaften und Motive in sich tragen. Das Ziel war es, ihre Fähigkeit zur Affektintegration zu fördern und ihr beizubringen, dass emotionale Nähe und Selbstbestimmung sich nicht gegenseitig ausschließen müssen.

In den letzten Sitzungen zeigte sich eine langsame Veränderung in ihrem Erleben. Frau G. begann, die Vorstellung zuzulassen, dass sie nicht zwischen absoluter Hingabe und völliger Autonomie entscheiden musste. Sie erkannte, dass ihre Identität nicht davon abhing, sich entweder als perfekte Ehefrau oder als freie Geliebte zu definieren, sondern dass sie in der Lage war, beide Aspekte in sich zu vereinen. Dies ermöglichte ihr, sowohl die positiven als auch die schwierigen Seiten ihrer Beziehungen zu akzeptieren und weniger anfällig für extreme Idealisierungen und Entwertungen zu werden.

Frau G. stand am Ende unserer Arbeit vor der Herausforderung, eine Beziehung aufzubauen, die nicht von extremer Abhängigkeit oder radikaler Ablehnung geprägt war. Dieser Prozess war alles andere als abgeschlossen, doch sie hatte begonnen, die Struktur ihrer eigenen Psyche und die tief verwurzelten Muster zu erkennen, die ihre bisherigen Beziehungen beherrscht hatten. Ich sah in ihr eine Frau, die zunehmend in der Lage war, sich selbst und andere nicht mehr in schwarz-weißen Extremen zu erleben, sondern die Vielzahl der Grautöne zu akzeptieren, die menschliche Beziehungen prägen.


F- und Z-Diagnosen

Basierend auf der Fallbeschreibung und der dynamischen Analyse des Gesprächs könnten bei Frau G. verschiedene psychische und psychosoziale Faktoren in Betracht gezogen werden, die möglicherweise in Form von F-Diagnosen (ICD-10-Klassifikation für psychische Störungen) und Z-Diagnosen (fokussierte psychosoziale Umstände und Bedingungen) diagnostisch relevant sind. Die folgenden Diagnosen könnten hypothetisch zutreffend sein:


Vermutete F-Diagnosen

  1. F60.3 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typ

    • Frau G. zeigt deutliche Anzeichen für emotionale Instabilität, insbesondere im Hinblick auf zwischenmenschliche Beziehungen, die durch Schwankungen zwischen Idealisierung und Entwertung geprägt sind. Das Hin- und Hergerissensein zwischen ihrer Ehe und der Affäre sowie die ausgeprägte Ambivalenz deuten auf Schwierigkeiten bei der Regulation und Integration von Gefühlen hin, was für eine Borderline-Dynamik typisch sein kann.

  2. F60.7 Abhängige Persönlichkeitsstörung

    • Es besteht eine starke Abhängigkeit von den Meinungen und Reaktionen ihrer Beziehungspartner. Frau G. scheint das Bedürfnis zu haben, sich an eine Partnerfigur zu binden, um ein Gefühl von Identität und Sicherheit zu gewinnen. Das emotionale Festhalten sowohl am Ehemann als auch am neuen Partner könnte auf ein zugrunde liegendes, stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Unterstützung und Zuwendung hinweisen, das ihre Eigenständigkeit beeinträchtigt.

  3. F43.2 Anpassungsstörung

    • Frau G. befindet sich in einer Belastungssituation, die durch den emotionalen Konflikt in ihren Beziehungen verursacht wird. Die Erschöpfung und das Gefühl, „gefangen“ zu sein, sowie die verstärkte Suche nach einer Lösung im Außen könnten auf eine Anpassungsstörung hindeuten, die auf die emotionalen Herausforderungen und Unsicherheiten in ihrer Lebenssituation zurückzuführen ist.

  4. F33.1 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode

    • Frau G. zeigt Symptome wie Leere, Erschöpfung und ein Gefühl des Gefangenseins, die auf eine depressive Symptomatik hinweisen könnten. Die episodische Verschlechterung ihres emotionalen Zustands im Kontext ihrer Beziehungskrisen könnte eine Depression als sekundäre Störung anzeigen, die durch die instabilen Beziehungsmuster ausgelöst oder verstärkt wird.


Vermutete Z-Diagnosen

  1. Z63.0 Probleme in der Beziehung zum Ehepartner oder Partner

    • Frau G. beschreibt erhebliche Konflikte und Schwierigkeiten in ihrer Ehe, die durch emotionale Distanz und das Bedürfnis nach Sicherheit geprägt sind. Diese Schwierigkeiten tragen zu ihrem emotionalen Leiden bei und beeinflussen ihr Verhalten in anderen zwischenmenschlichen Beziehungen.

  2. Z63.5 Probleme in der Beziehung zu anderen Personen in der Umgebung

    • Neben der Ehe gibt es auch belastende Beziehungen zu ihrem neuen Partner, die von Kontrolle, Forderungen und emotionalem Druck geprägt sind. Dieses Umfeld erschwert die Stabilisierung ihres psychischen Zustands und verstärkt ihre Verstrickung in konfliktbelastete Beziehungen.

  3. Z73.1 Soziale Isolation und Zurückgezogenheit

    • Frau G. scheint Schwierigkeiten mit der sozialen Integration und Eigenständigkeit zu haben, was zu einer Rückzugstendenz und emotionalen Isolation geführt hat. Ihre ständige Abhängigkeit von ihren Partnern weist auf eine mögliche soziale Unsicherheit und Isolation in der übrigen Umgebung hin.

  4. Z62.8 Sonstige Probleme in der Beziehung zu Bezugspersonen

    • Die Beziehungsmuster und Prägungen aus ihrer Kindheit (z. B. die Beziehung zu einem emotional distanzierten Vater und einer bedürftigen Mutter) beeinflussen ihre gegenwärtigen Beziehungsstrukturen. Dieses historische Beziehungsmuster scheint in ihren aktuellen Partnerschaften wiederholt aufzutreten und stellt eine wesentliche Grundlage für ihre Schwierigkeiten im Erwachsenenalter dar.


Zusammenfassung

Die vermuteten F-Diagnosen spiegeln das intrapsychische und zwischenmenschliche Spannungsfeld wider, in dem Frau G. sich befindet, und erklären die zugrunde liegenden Persönlichkeitsstrukturen und emotionalen Herausforderungen. Die Z-Diagnosen betonen die psychosozialen Bedingungen und die prägend-dysfunktionalen Beziehungserfahrungen, die die psychische Belastung von Frau G. beeinflussen und verstärken.

Eine weiterführende Diagnostik könnte notwendig sein, um die spezifischen Persönlichkeitsmerkmale und emotionalen Muster genauer zu erfassen und eine adäquate therapeutische Intervention zu planen.


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