🌱 Wenn die Welt zu laut wird – Hochsensibilität und emotionale Erschöpfung bei Jugendlichen
- Thomas Laggner
- 9. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Der Schulalltag ist für viele Jugendliche herausfordernd. Für manche jedoch ist er mehr als das – er ist ein täglicher Kampf gegen Überforderung, Lärm und emotionale Grenzüberschreitungen.
Eine junge Frau, 15 Jahre alt, erzählt in einem therapeutischen Gespräch von belastenden Erfahrungen in der Schule: Ein Ex-Freund verbreitet Gerüchte, Lehrpersonen verhalten sich ambivalent – während manche sie loben, fühlt sie sich von anderen übergangen oder gar ignoriert. Als wäre das nicht genug, sieht sie sich auch zu Hause mit restriktiven Regeln und fehlender Selbstbestimmung konfrontiert. Ihr Tag ist streng getaktet, ihr digitaler Kontakt zur Außenwelt stark begrenzt. Was nach einem klassischen „Teenagerproblem“ klingen mag, ist in Wirklichkeit eine vielschichtige emotionale Überforderung.
Hochsensibilität im Schulkontext

Besonders auffällig ist die sensorische und emotionale Reizoffenheit der Jugendlichen. Sie beschreibt sich selbst als introvertiert, empfindlich gegenüber Lärm, braucht Rückzug und Ruhe, um wieder Energie zu tanken. Lehrer*innen mit lauter Stimme, hektischer Sprache oder theatralischer Mimik rauben ihr Energie.
Abgrenzung fällt ihr schwer – die ständige Reizflut führt zu Erschöpfung, Blackouts in Prüfungen und einem Gefühl innerer Leere.
Mobbing, Kontrolle und der Wunsch nach Autonomie
Gerüchte, Intrigen und soziale Ausgrenzung lassen das Selbstbild ins Wanken geraten. Ihre Familie reagiert mit Kontrolle statt Vertrauen – ein häufiges Missverständnis bei hochsensiblen Jugendlichen, die sich in der Außenwelt bereits überfordert fühlen und zu Hause Halt suchen. Die junge Frau wünscht sich Selbstbestimmung, aber auch Verständnis für ihre Art, die Welt zu erleben.
Therapeutische Impulse
Im Gespräch wird eine Klopftechnik aus der energetischen Psychologie eingeführt, die helfen soll, emotionale Belastungen zu regulieren. Die Methode bietet ihr ein Werkzeug zur Selbsthilfe, um akute Stressreaktionen (z. B. Nervosität vor Bewerbungsgesprächen) zu lindern. Auch das Thema Meditation, innere Ruhe und Selbstfürsorge wird behandelt – nicht als Allheilmittel, sondern als achtsamer Zugang zur eigenen Kraft.
Was wir daraus lernen können
Jugendliche wie diese junge Frau brauchen mehr als gute Noten – sie brauchen Raum, um sich selbst zu regulieren, sich auszuprobieren und sich sicher zu fühlen. Hochsensibilität ist keine Schwäche, sondern eine besondere Form der Wahrnehmung. Doch sie braucht Schutzräume, in denen Jugendliche sich nicht „anpassen“ müssen, sondern verstanden werden.
Und manchmal reicht schon eine Frage: „Was brauchst du gerade wirklich?“
💡 Was wir aus diesem Fall lernen können
1. Hochsensibilität ist keine Schwäche, sondern ein Wahrnehmungsstil
Die betroffene Jugendliche zeigt eine feine emotionale Resonanz, hohe Reizoffenheit und eine besondere Beobachtungsgabe. Was oft als „Empfindlichkeit“ oder „Überreaktion“ abgetan wird, ist vielmehr Ausdruck eines neuropsychologisch sensiblen Nervensystems.
2. Emotionale Belastung zeigt sich oft körperlich
Symptome wie Erschöpfung, Konzentrationsprobleme, Blackouts oder psychosomatische Reaktionen (z. B. Müdigkeit trotz Ruhe) sind häufig Zeichen tiefer emotionaler Anspannung – nicht einfach „Faulheit“ oder „Pubertät“.
3. Familiäre Kontrolle kann gut gemeint, aber dysfunktional sein
Wenn Jugendliche keinen Raum zur Selbstregulation und Autonomie bekommen, entstehen Ohnmachtsgefühle, Rebellion oder Rückzug. Eine vertrauensvolle Beziehung ersetzt keine Kontrolle.
4. Schule kann systemischer Stressor sein
Mobbing, ambivalente Lehrer*innenbeziehungen und ein rigider Schulbetrieb sind nicht bloß „unangenehm“, sondern können gravierende Auswirkungen auf die psychische Entwicklung haben – besonders bei hochsensiblen Jugendlichen.
5. Therapeutische Methoden wie Klopfen (EFT) oder Meditation können effektive Selbsthilfewerkzeuge sein
Gerade bei Jugendlichen sind körperorientierte, niedrigschwellige Techniken hilfreich, um mit innerem Stress umzugehen. Sie fördern Selbstwirksamkeit und emotionale Regulation.
6. Validierung ist entscheidend
Ein Gefühl von „Ich werde gesehen und ernst genommen“ kann heilsamer sein als jede noch so perfekte Intervention. Der Therapeut bietet hier einen sicheren Raum, in dem die Jugendliche sich öffnen kann – ein zentraler Wirkfaktor in jeder Psychotherapie.
🤝 Was die Lebens- und Sozialberatung in diesem Fall leisten kann
1. Ressourcenstärkung und Empowerment
Die Lebensberater*in kann mit der Jugendlichen ihre Stärken und Ressourcen herausarbeiten, sie in ihrer Selbstwirksamkeit bestärken und gemeinsam Wege entwickeln, wie sie schwierige Situationen besser bewältigen kann (z. B. Umgang mit belastenden Lehrpersonen oder Mobbing).
2. Kommunikationsstrategien erarbeiten
In Bezug auf die Mutter oder auf die Schule kann Lebensberatung helfen, konstruktive Kommunikationsmuster zu entwickeln: Wie kann ich meine Bedürfnisse klar ausdrücken? Wie grenze ich mich ab, ohne zu eskalieren?
3. Berufliche Orientierung unterstützen
Gerade die Frage, welcher Beruf der richtige ist (BIPA vs. Verwaltungsassistenz), ist ein klassisches Feld der Lebensberatung. Hier kann mit Methoden wie Interessenstests, Wertearbeit und Zielcoaching gearbeitet werden.
4. Alltagsstruktur und Selbstorganisation
LSB kann helfen, gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie die Jugendliche trotz Erschöpfung ihren Tag strukturieren kann, wie sie mit der Reizüberflutung umgeht und wie sie Erholungsräume bewusst gestaltet.
5. Psychoedukation über Hochsensibilität
Lebensberater*innen können über das Konzept Hochsensibilität aufklären und helfen, dieses Persönlichkeitsmerkmal zu verstehen – als Stärke, nicht als Störung.
🧭 Wo die Lebensberatung an Grenzen stößt
Keine Behandlung von psychosomatischen oder psychischen Symptomen: Die beschriebenen Blackouts, die emotionale Erschöpfung, der Eisenmangel mit psychovegetativer Symptomatik – all das verlangt fachlich psychotherapeutische oder medizinische Abklärung.
Keine Traumabearbeitung oder tiefenpsychologische Prozesse: Wenn das Mobbing, familiäre Einschränkungen oder schulische Erfahrungen tiefer liegende emotionale Verletzungen auslösen (was hier sehr wahrscheinlich ist), muss eine Psychotherapie hinzugezogen werden.
Keine Diagnosestellung: Die Einschätzung zu ICD-10-F-Diagnosen bleibt dem Fachpersonal (Psychotherapeutin, Psychiaterin) vorbehalten.
Fazit:Lebensberatung kann in diesem Fall begleitend, stabilisierend und klärend wirken – etwa in Form eines ressourcenorientierten Coachings. Für die tiefergehende emotionale Bearbeitung ist jedoch eine psychotherapeutische Behandlung indiziert.