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Wenn Liebe im Nebel aus Lügen und Drogen verschwindet – Eine Fallanalyse aus der Paartherapie

🧾 Psychotherapeutische Dokumentation


Klienteninformationen (anonymisiert):

  • Sebastian, Mitte 30, verheiratet, zwei Kinder, tätig in einem handwerklich-technischen Beruf

  • Julia, Anfang 30, selbstständig, Mutter zweier Kinder

  • Das Paar lebt seit über zehn Jahren in einer langjährigen, konfliktreichen Beziehung


Vorstellungsgrund:

Die Paartherapie wurde auf Initiative von Julia begonnen, um die massiven Beziehungskonflikte im Zusammenhang mit Drogenkonsum, Vertrauensbruch und emotionaler Erschöpfung zu thematisieren. Sebastian äußert Suizidgedanken und erklärt seine Bereitschaft, sich mit seiner Sucht auseinanderzusetzen.


🧭 Beziehungshistorie (Chronologie in Etappen):

  • Frühphase geprägt von gegenseitiger Anziehung, aber auch erste Unwahrheiten und Kontrollversuche

  • In der Schwangerschaft erste Hinweise auf problematischen Alkoholkonsum und emotionale Instabilität

  • Wiederholte Untreue, emotionale Entfremdung, eskalierende Streitdynamiken

  • Zunehmende finanzielle Unregelmäßigkeiten und Geheimniskrämerei

  • In den letzten Jahren Verdacht auf Drogenmissbrauch, seit etwa einem Jahr bestätigt

  • Aktuell: emotionale Erschöpfung, Rückzugstendenzen bei Julia, Sebastian äußert Veränderungswillen


🔍 Hauptproblembereiche:

  1. Drogensucht & Verleugnung:

    • Wiederholter Gebrauch von Substanzen (insb. Kokain), trotz gegenteiliger Beteuerungen

    • Manipulation bei Drogentests, Verharmlosung des Konsums

    • Eigenes Eingeständnis der Abhängigkeit erfolgt erst unter Druck

  2. Chronisches Lügenverhalten:

    • Fälschung von E-Mails, widersprüchliche Aussagen

    • Julia fühlt sich desorientiert: „Ich weiß nicht mehr, was wahr ist und was nicht.“

  3. Emotionale Co-Abhängigkeit:

    • Julia übernimmt langfristig Verantwortung für beide, vernachlässigt eigene Bedürfnisse

    • Rückzugstendenzen und emotionale Erschöpfung

  4. Verlust von Vertrauen:

    • Reaktionen auf Konfrontationen reichen von Aggression bis Selbstmitleid

    • Wiederholte Verletzungen durch Untreue, Demütigungen in der Öffentlichkeit

  5. Familiäre Belastung:

    • Kinder erleben indirekt die Krisen (Verunsicherung, Schuldgefühle, Loyalitätskonflikte)

    • Zunehmende Sorge um kindliche Entwicklung und emotionale Sicherheit

  6. Suizidale Aussagen:

    • Sebastian äußert mehrfach Todessehnsüchte in Situationen der Eskalation

    • Julia fühlt sich durch diese Aussagen emotional erpresst und überfordert


👥 Perspektiven der Beteiligten:

Julia:

  • Wirkt kontrolliert, aber tief erschöpft

  • Versucht, eine stabile Umgebung für die Kinder zu schaffen

  • Hat über Jahre zahlreiche Versuche unternommen, Sebastian zu helfen

  • Ist zunehmend desillusioniert:

    „Ich bin angeekelt von seinem Verhalten. Ich erkenne den Menschen, den ich einmal geliebt habe, nicht mehr.“

Sebastian:

  • Zeigt Ambivalenz: Eingeständnis von Problemen, aber auch Tendenz zur Verharmlosung

  • Will „alles wiedergutmachen“, hat aber keine konkreten Strategien

  • Braucht klare Strukturen von außen

  • Sagt:

    „Ich bin in der Bringschuld. Ich will meine Familie nicht verlieren.“


🔁 Beobachtete Interaktionsmuster:

  • Emotionales Ping-Pong: Schuld – Rechtfertigung – Angriff – Rückzug

  • Gaslighting: Julia wird in ihrer Wahrnehmung systematisch destabilisiert

  • Zyklen von Hoffnung und Ernüchterung

  • Kindliche Parentifizierung: Kinder übernehmen Verantwortung („Papa ist alleine“)


🎯 Therapieziele:

Kurzfristige Ziele:

  • Verbindlicher Drogenentzug unter therapeutischer Begleitung

  • Klare Absprachen zur Alltagsbewältigung

  • Einrichtung regelmäßiger Kontrollen (z. B. Haaranalyse)

Langfristige Ziele:

  • Neuverhandlung der Partnerschaft (Fortführung vs. Trennung)

  • Aufbau eines stabilen Familiensystems mit klaren Rollen

  • Förderung der psychischen Gesundheit beider Elternteile

  • Entwicklung eines tragfähigen Elternkooperationsmodells


🛠️ Therapieformate und Interventionen:

Therapieform

Intervention

Systemische Paartherapie

Musterunterbrechung, Externalisierung der Sucht, zirkuläre Fragen

Verhaltenstherapie

Rückfallprävention, Reiz-Reaktions-Ketten, Stresstoleranztraining

Ego-State-Therapie

Arbeit mit inneren verletzten Kind-Anteilen (Schuld, Scham, Ohnmacht)

Psychoedukation (Co-Abhängigkeit)

Gruppenangebote für Julia zur Selbststärkung und Klarheit

Motivierende Gesprächsführung (MI)

Förderung von Ambivalenzbearbeitung bei Sebastian

Traumabearbeitung

In späteren Phasen evtl. EMDR oder narrative Verfahren für Julia

🔮 Prognose:

  • Sebastians Veränderungswille ist vorhanden, aber stark schwankend

  • Julias Rückzugsimpulse deuten auf ein fortgeschrittenes Stadium der Entfremdung hin

  • Der Erfolg hängt maßgeblich von äußerer Struktur, therapeutischer Anbindung und Selbstfürsorge Julia ab


🧠 Makroskopische Analyse:

Diese Beziehung ist toxisch geworden, nicht aufgrund fehlender Liebe, sondern durch Jahre des gegenseitigen Missverstehens, der Sucht und des Vertrauensmissbrauchs.


Diagnostische Hypothesen (ICD-10):

  • F14.2: Kokainabhängigkeit

  • F32.1: Mittelgradige depressive Episode

  • Z63.5: Beziehungsstörung zwischen Partnern

  • Z72.2: Probleme mit Impulskontrolle

  • Z81.8: Familiäre Belastung durch psychische Erkrankung


🔍 Mikroskopische Analyse:

Ego-State-Dynamik:

  • Sebastian schwankt zwischen einem "verletzten Jungen" und einem "grandiosen Ich", das Kontrolle über andere braucht.

  • Julia ist tief im "verantwortungsvollen Eltern-Ich", das ihre eigenen Bedürfnisse verdrängt.


Neurobiologische Muster (Polyvagal-Theorie):

  • Sebastian zeigt abwechselnd Hyperarousal (Kampf/Flucht) und Shutdown (Dorsal-Vagus)

  • Julia befindet sich im chronischen Überlebensmodus (Ventral-Vagus-Dysregulation)


🧑‍⚖️ Supervision: Bewertung der therapeutischen Arbeit


Personzentrierte Sicht:

  • Einfühlendes Zuhören, wertschätzender Kontakt, klare Spiegelung

  • Verbesserungspotenzial: Stärkung der Selbstempathie Julia


NLP:

  • Gute Nutzung sprachlicher Reframing-Techniken

  • Potenzial: Zukunftsvisualisierungen für Sebastian nutzen („Timeline-Arbeit“)


Kognitive Verhaltenstherapie:

  • Zielklarheit, strukturierte Maßnahmen

  • Potenzial: Konkrete Verstärkerpläne für drogenfreie Zeiträume


Systemische Perspektive:

  • Exzellente Kontextualisierung (Elternrollen, Familiensystem)

  • Empfehlung: Arbeit mit Genogramm


Tiefenpsychologische Sicht:

  • Deutlich: Projektive Abwehrmechanismen, Reinszenierungen

  • Empfehlung: Sebastian sollte Langzeittherapie mit Fokus auf narzisstische Strukturen erhalten


✨ Weiterführende Empfehlungen:

  1. Drogenspezifische Langzeittherapie für Sebastian (evtl. stationär)

  2. Einzeltherapie für Julia zur Verarbeitung der jahrelangen Belastung

  3. Getrennte Elterngespräche zur Klärung gemeinsamer Verantwortungen

  4. Kindzentrierte Familientherapie, sobald Grundstabilität hergestellt ist

  5. Rechtsberatung vorbereiten für den Fall einer Trennung mit Sorge- und Umgangsklärung




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